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Italiens begrenzte Rücknahmebereitschaft von Migranten

Seit Solingen setzt die Ampel-Regierung viele Hebel in Bewegung, um illegale Migranten loszuwerden. Sogar Abschiebungen nach Kabul sind plötzlich machbar. Doch was ist mit Rückführungen in der EU, etwa nach Italien?

Der wachsende innenpolitische Druck auf die Ampel-Regierung in Berlin nach der islamistischen Messer-Attacke von Solingen hat Dinge in Bewegung gebracht, die lange undenkbar schienen. Nach drei Jahren Abschiebestopp wurden erstmals afghanische Flüchtlinge, 28 verurteilte Straftäter, in ihre Heimat abgeschoben. Und zur Eindämmung der illegalen Migration wollen Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) gewissen Flüchtlingen materielle Hilfen des deutschen Staates gänzlich streichen.

Letzteres betrifft die zahlenmäßig große Gruppe derer, die über einen anderen EU-Staat nach Deutschland eingereist sind. Sie müssten, gemäß dem derzeit geltenden “Dublin-Abkommen” der Europäischen Union, eigentlich in das Erstaufnahmeland in der EU oder in einen sicheren Drittstaat zurückkehren. Das galt auch für den mutmaßlichen Attentäter von Solingen, der über das EU-Land Bulgarien eingereist war.

Da Hunderttausende übers Mittelmeer nach Europa gekommen sind, betrifft die Rückführungsregel in vielen Fällen Griechenland und Spanien, vor allem aber Italien. Doch hat die Regierung des EU-Landes mit der längsten Küste in Richtung Nordafrika bereits im Dezember 2022 die Bundesregierung schriftlich wissen lassen, dass man nicht mehr bereit sei, Migranten zurückzunehmen, die von Italien in Richtung Deutschland weitergewandert sind.

Die damals neue Mitte-Rechts-Regierung unter Giorgia Meloni setzte damit das Wahlversprechen um, die illegale Einwanderung nach Italien zu reduzieren. Gleichzeitig verhandelte sie Abkommen mit Tunesien und Libyen, um die Zahl der neu über das Mittelmeer kommenden Flüchtlingsboote zu verringern. Beide Strategien waren relativ erfolgreich, Italiens Innenminister Matteo Piantedosi konnte unlängst einen spürbaren Rückgang der illegal nach Italien gekommenen und dort verbliebenen Migranten vermelden. Einen Effekt, den auch Deutschland spürt: Die Zahl der Asylanträge ist im ersten Halbjahr deutlich gesunken.

Seit sich auch in Deutschland die Wahrnehmung durchsetzt, dass die gesellschaftspolitischen Grenzen der Aufnahmebereitschaft erreicht sind, nimmt Berlin die knapp zwei Jahre alte Absage aus Rom nicht mehr unwidersprochen hin. Regierungssprecher Steffen Hebestreit betonte am Mittwoch, dass Deutschland einen Großteil der von den EU-Ländern vereinbarten Lastenteilung in der Migrationskrise übernommen habe. Und das Bundesinnenministerium erklärte, dass die Bundesregierung versuchen wolle, über die EU-Kommission in Brüssel die Respektierung der vereinbarten Regeln zur Lastenteilung bei der Migration durchzusetzen.

Die italienische Tageszeitung “La Stampa” berichtete unterdessen am Freitag, aus dem römischen Innenministerium sei zu hören, dass man nicht beabsichtige, die Linie zu ändern. Bis zum offiziellen Inkrafttreten des neuen Migrations- und Asylpakts der EU im Jahr 2026, der weniger durchlässige EU-Außengrenzen garantieren soll, werde man bei der bisherigen Linie bleiben. Was das bedeutet, ist offenkundig: Die Zahl der aus Deutschland nach Italien zurückgenommenen Flüchtlinge bewegte sich in den vergangenen 18 Monaten im zweistelligen Bereich.

Italien ist besonders erfolgreich bei der Nichtrücknahme. Doch auch andere EU-Länder sind nur begrenzt rücknahmewillig. In der Statistik des deutschen Bundesamts für Migration und Flüchtlinge war 2023 von 74.622 Rücknahme-Anfragen an andere EU-Staaten die Rede. Die meisten davon gingen an Kroatien und Italien, gefolgt von Österreich. In 55.000 Fällen erklärten sich die anderen EU-Länder bereit, Flüchtlinge wieder aufzunehmen. Doch nur in gut 5.000 Fällen fand wirklich eine Abschiebung statt. Auch im laufenden Jahr wurde bislang nur ein Bruchteil der Dublin-Fälle in das Ersteinreiseland zurückgebracht.

Hauptgrund: Der Flüchtling ist beim Abschiebeversuch nicht auffindbar oder abgetaucht. Wenn dann die zuständigen Landesbehörden, wie zu oft der Fall, nicht weiter nachbohren und suchen, kommt es nie zu einer Abschiebung. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass selbst die EU-Länder, die sich bereiterklären, Dublin-Flüchtlinge wiederaufzunehmen, längst darauf spekulieren, dass kaum jemand bei ihnen ankommt.