Am 18. September wählen Berlinerinnen und Berliner das Abgeordnetenhaus und die Bezirksverordneten. Nach dem Wahlerfolg der AfD in Mecklenburg-Vorpommern lohnt es, genauer ins AfD-Wahlprogramm zu schauen. Dort bezeichnet sie Engagement für Flüchtlinge als „irregeleiteten Humanitarismus“. Eine Ohrfeige für kirchliche Ehrenamtliche. Ein Punkt von vielen, der dem kirchlichen Auftrag der Nächstenliebe widerspricht
Von Sibylle Sterzik
Ist es unchristlich, die AfD zu wählen? Ja, weil ein Teil ihrer Ziele „menschenfeindlich“ sind. Ein Passus, der in der Grundordnung der EKBO als Ausschlusskriterium für die Übernahme eines Amtes steht. „Älteste können nur Gemeindeglieder sein, die sich zu Wort und Sakrament halten und ihr Leben am Evangelium Jesu Christi ausrichten; damit nicht vereinbar ist die Mitgliedschaft in oder die tätige Unterstützung von Gruppierungen, Organisationen oder Parteien, die menschenfeindliche Ziele verfolgen“ (Artikel 19,1).Das dürfte auch für Pfarrerinnen und Pfarrer gelten. Das Pfarrdienstrecht bedarf hier einer Zusatzklausel. Denn der Streit um die Flüchtlinge, die AfD und das „richtige“ Weltbild reicht in die Kirchgemeinden hinein. Im brandenburgischen Pfarrsprengel Haselberg tobt ein Konflikt zwischen dem als AfD-nahe geltenden Pfarrerehepaar und dem Gemeindekirchenrat. Die Pfarrerin war lange Mitglied in der AfD, bis sie schließlich Ende 2015 auf Druck von außen wieder austrat. Bei Facebook schreibt ein Pfarr-Pensionär an AfD-Chefin Frauke Petry: „Ich versichere Ihnen, dass die Kirchenfürs-ten, die gegen die AfD hetzen, nicht das Kirchenvolk ausmachen. Das müsste irgendwie noch deutlicher herausgearbeitet werden – zum Wohle der AfD und zum Wohle der vielen christlichen Sympathisanten.“ Ein Christ, der Sätze wie „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“, begrüßt – so wörtlich im Grundsatzprogramm der AfD – tritt Menschen wegen ihrer Religion feindlich gegenüber. Ist an anderen Stellen im Bundesprogramm vom „orthodoxen Islam“ die Rede, so entschärft es das nicht. Dasselbe gilt für Christen, die AfD-Chefin Frauke Petry zustimmen, „illegale Migranten und abgelehnte Asylbewerber auf Inseln außerhalb Europas abzuschieben und dort zu bewachen“ („Bild“). Menschen in Lagern zu halten, ist menschenfeindlich. Die EU-Außengrenzen will die AfD schließen und bewachen. Was heißt bewachen? Schließt das den Schießbefehl ein, wie von Petry bereits gefordert? Die AfD-Vorsitzende ruft auch dazu auf, den Begriff „völkisch“ positiv aufzuladen („Welt am Sonntag“). Der Duden notiert zum Wort „völkisch“ etwa „nationalsozialistisch“ und als „in der rassistischen Ideologie des Nationalsozialismus“ stehend. Das Grundsatzprogramm liest man am besten parallel zum Berlin-Wahlprogramm, das abgeschwächter klingt. Hier fehlt „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“. Doch Georg Pazderki, AfD-Spitzenkandidat für die Abgeordnetenhauswahl, schreibt ins Vorwort „dass der Islam eben nicht zu Deutschland gehört – und dass wir in Berlin den Ruf des Muezzins nicht fünfmal am Tag hören wollen“. Deutlicher im Grundsatzprogramm: Minarett und Muezzinruf verbieten. Sie widersprächen „einem toleranten Nebeneinander der Religionen, das die christlichen Kirchen in der Moderne praktizieren“. Willkürlich zieht die AfD hier „die christlichen Kirchen“ heran, ebenso wie sie den Begriff des „christlichen Abendlandes“ missbraucht. Es schützen zu wollen, gibt sie vor, aber um das Evangelium geht es ihr nicht.AfD-Vize Gauland äußerte, dass die AfD „keine christliche Partei“ sei. „Wir wollen nicht das Christentum im religiösen Sinne verteidigen.“ Es gehe darum zu erhalten, „was man von den Vätern ererbt“ habe, Lebensformen, Traditionen, dafür sei das Christentum Metapher.Menschenfeindliches Reden verrät die Sprache von AfD-Sympathisanten im Netz, die von Flüchtlingen als „Eindringlinge“ sprechen. Wie Heuschreckenschwärme würden sie „unser Land überfallen“, als wären sie eine Insektenplage und nicht Schutz Suchende. Die AfD verweigert Menschen Hilfe in akuter Not, indem sie ihnen das Etikett „Illegal“ aufdrückt. Massenunterkünfte in Wohngebieten will sie räumen, Familiennachzug verbieten. „Wir halten es für eine ethisch verantwortungsvollere Entscheidung, die Bürgerkriegsflüchtlinge zu unterstützen, ein Ende der fluchtverursachenden Konflikte in ihren jeweiligen Herkunftsregionen abzuwarten.“ Wie liest das ein syrischer Flüchtling?Die AfD befürwortet Waffen tragende Bürger und eine freiwillige Polizei. Jugendliche sollen mit 12 strafmündig sein, Inklusion würde zurückgefahren und Geschlechterstudien beendet, die „aus biologischen Gründen zum Scheitern verurteilt“ seien. Das Energiewendegesetz soll gestoppt werden. AfD grenzt aus, Jesus holt Ausgegrenzte rein. Rettungsaktionen im Mittelmeer beschimpft die AfD als „irregeleiteten Humanitarismus“. Der barmherzige Samariter steht für selbstlose Fürsorge für den Notleidenden. „Gehe und handle ebenso.“ (Lukas 10,37). Wer AfD wählt, kann sich dafür nicht auf das Evangelium berufen.