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Helfer beklagen “europäische Mitschuld am Sterben im Mittelmeer”

Vor zehn Jahren wurde die Seenotrettungsorganisation SOS Humanity, ehemals SOS Méditerranée, gegründet. Zum Jubiläum zieht die Organisation eine ernüchternde Bilanz: Die Lage sei deutlich schlechter geworden.

Ein europäisches Seenotrettungsprogramm ist nach Einschätzung der Rettungsorganisation SOS Humanity seit Jahren überfällig. Stattdessen trage die EU samt aller Mitgliedsstaaten eine Mitschuld am Sterben im Mittelmeer, indem sie in den vergangenen zehn Jahren Grenzkontrollen ausgelagert und die Verantwortung für Flüchtlingsschutz an Drittländer wie Tunesien und Libyen übertragen habe, beklagte die Nichtregierungsorganisation am Montag in Berlin.

In den vergangenen zehn Jahren seit Gründung der Organisation habe man stets gehofft, dass die europäischen Regierungen ihre Pflicht zur Rettung Schiffbrüchiger ernst nähmen. “Die Lage ist eindeutig nicht besser geworden, sie ist schlimmer geworden”, klagte Klaus Vogel. Er hatte die Organisation am 4. Mai 2015 als SOS Méditerranée Deutschland gegründet. Seit Januar 2022 nennt sie sich SOS Humanity. Bislang hat sie laut eigenen Angaben mehr als 38.500 Menschen im Mittelmeer gerettet.

In einem am Montag vorgestellten Bericht “Grenzen der (Un-)Menschlichkeit” dokumentiert die Organisation in 64 Interviews mit Überlebenden die Zustände in Tunesien, Libyen und dem zentralen Mittelmeer. Laut SOS-Humanity-Mitarbeiterin Marie Michel berichten die Menschen an Bord des Rettungsschiffes von Folter und Vergewaltigung. Insbesondere für Frauen und Kinder sei die Lage sehr bedrohlich.

Angaben der Nichtregierungsorganisation zufolge hat die EU in den vergangenen zehn Jahren rund 240 Millionen Euro investiert, um das Grenzmanagement der südlichen EU-Außengrenzen auszulagern. Seenotrettung werde dadurch behindert und Schutzsuchende würden systematisch in lebensbedrohliche Situationen gebracht. Nur zivilgesellschaftliche Akteure führten Seenotrettung nach internationalem Recht durch und kämen viel zu oft leider zu spät.

Die Organisation appellierte an die neue Bundesregierung, humanitäre Verantwortung zu übernehmen. “Kein einziges Wort findet sich im Koalitionsvertrag zur Seenotrettung – nicht zur staatlichen Verantwortung, nicht zu einem europäischen Rettungsprogramm, nicht zur Unterstützung zivilgesellschaftlicher Initiativen”, kritisierte Till Rummenhohl, Geschäftsführer von SOS Humanity.