Auch wenn nach dem Terrorangriff der Hamas in Israel die Polizei die Sicherheitsmaßnahmen für jüdische Einrichtungen in Baden-Württemberg verstärkt hat und die Anspannung in der jüdischen Synagogengemeinde in Stuttgart weiter hoch ist, werden sich Jüdinnen und Juden nicht isolieren, sagte Barbara Traub im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Am Donnerstag (16. November) werde wie geplant ein Jüdisches Bildungszentrum in Heidelberg eröffnet und auch die Jüdischen Kulturwochen Stuttgart fänden derzeit statt. Denn: „Bildung und Begegnung brauchen wir in diesen Zeiten besonders dringend“, so die Vorstandssprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW).
epd: Frau Traub, Sie sind Vorstandssprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs: Wie geht es den Mitgliedern der Synagogengemeinde in Stuttgart seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel und seinen Folgen?
Traub: Zuerst war da der Schock, weil viele Angehörige und Freunde in Israel haben. Dieser wurde noch verstärkt, als bekannt wurde, dass die Hamas am 13. Oktober zu Anschlägen auf jüdische Personen und Einrichtungen weltweit aufgerufen hatte.
Als Synagogengemeinde haben wir seitdem die Sicherheitsvorkehrungen hochgefahren, wir sind mit Polizei und Objektschutz in ständigem Austausch, die uns jetzt auch viel stärker bewachen, und das hat den Mitgliedern, denke ich, schon eine gewisse Beruhigung gegeben, aber natürlich ist die Anspannung weiter spürbar.
epd: Die Novemberpogrome haben sich zum 85. Mal gejährt: Dieses Jahr hatte das Gedenken eine besonders traurige Aktualität…
Traub: Natürlich werden Parallelen zur heutigen Situation gezogen: Der 9. November war der Auftakt für das NS-Regime, wo es damals auch noch Möglichkeiten für die Bevölkerung gegeben hätte, Widerstand zu leisten. Und so ist es auch jetzt wichtig, dass wir gemeinsam Maßnahmen gegen Antisemitismus ergreifen. Denn die jüdische Gemeinschaft ist wie ein Seismograf: Wird sie bedroht, werden langfristig auch die Freiheit und die demokratischen Werte der gesamten Gesellschaft bedroht sein.
epd: Derzeit finden auch die Jüdischen Kulturwochen Stuttgart statt: Musste etwas aus aktuellem Anlass abgesagt werden?
Traub: Nein, wir haben uns bewusst entschieden, nichts abzusagen. Gerade jetzt wollen wir uns nicht wegducken oder isolieren, sondern stehen zu unserer Identität und unserem Jüdischsein. Erfreulich ist auch, dass wir am 16. November gemeinsam mit der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden in Heidelberg das Jüdische Bildungszentrum Baden-Württemberg eröffnen. Bildung und Begegnung brauchen wir in diesen Zeiten besonders dringend.
epd: Wie können die Kirchen Sie in der jetzigen Situation unterstützen?
Traub: Das interreligiöse Gespräch – auch mit muslimischen Vertretern – ist wichtiger denn je. Denn wir haben erlebt, dass manche muslimische Verbände sich von sich aus nur wenig vom islamistischen und terroristischen Gedankengut der Hamas abgegrenzt oder uns ihre Unterstützung bekundet haben. Bei manchen ist es vielleicht auch Unwissenheit, aber wenn es da vonseiten der Kirchen möglich ist, mit diesen Verbänden ins Gespräch zu kommen, dann sollte man das nutzen. Ich möchte damit nicht alle Muslime unter Generalverdacht stellen, wir haben auch zu einigen muslimischen Verbänden Kontakt und werden diesen aufrecht erhalten und sind interessiert an Austausch und Begegnung.
Außerdem ist allgemein Bildungs- und Aufklärungsarbeit mit Blick auf das Judentum und Israel auch in kirchlichen Kreisen weiterhin sehr wichtig und sollte verstärkt werden. Das bedeutet nicht, dass man nicht auch Kritik und Bedenken haben kann an bestimmten staatlichen Maßnahmen und Regierungshandeln, aber dennoch ist der Staat Israel das einzige Land in der Welt, wo die jüdische Religion in vollem Umfang umgesetzt und gelebt werden kann. Auch bei der Ausbildung von Religionslehrern ist es wichtig, dass diesen ein solides Wissen über das Judentum und andere Religionen vermittelt wird, um profund mit ihren Schülern argumentieren zu können.
epd: Hauptberuflich arbeiten Sie als psychologische Psychotherapeutin: Was würden Sie sagen: Welche Strategien können Jüdinnen und Juden helfen, mit der bestehenden Unsicherheit und Angst zu leben? Besteht bei Erlebnissen wie dem 7. Oktober die Gefahr einer Traumatisierung oder einer Retraumatisierung?