Seit dem vergangenen Jahr leitet der Südafrikaner Tshilidzi Marwala die UN-Universität mit Hauptsitz im japanischen Tokio. Im Laufe seiner akademischen Karriere war er unter anderem an den Universitäten von Johannesburg und London tätig, hatte darüber hinaus Lehraufträge an Hochschulen in den USA und in China. Zudem betreibt der Autor von mehr als 25 Büchern in seiner Heimat selbst Landwirtschaft. Kurz vor Beginn der Weltklimakonferenz in Baku (Aserbaidschan) erläutert der Experte im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA), welche Chancen und Risiken er beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Kampf gegen den Klimawandel sieht.
KNA: Professor Marwala, was kann Künstliche Intelligenz beim Kampf gegen den Klimawandel leisten?
Marwala: Dazu nur drei von ganz vielen Möglichkeiten. Bislang war es sehr schwierig, komplexe Systeme wie das Wettergeschehen vorherzusagen. Das geht mit Künstlicher Intelligenz viel einfacher. Ein zweiter Vorteil von KI besteht beim Design von energieeffizienten Gebäuden. Schließlich kann uns KI in der Landwirtschaft helfen, Stichwort Smart Agriculture.
KNA: Was steckt hinter diesem Begriff?
Marwala: Nur ein Beispiel: Durch Luftbilder, die von Drohnen aufgenommen werden, können wir den Boden und seine Beschaffenheit viel besser analysieren, was uns wiederum bei der Planung der Fruchtfolge hilft. Ich bewirtschafte selbst eine Farm in Südafrika und weiß deswegen aus eigener Erfahrung, wie wichtig das ist.
KNA: Aber ist KI für Kleinbauern in Afrika, Asien oder Lateinamerika überhaupt erschwinglich? Sie sind schließlich am meisten vom Klimawandel und seinen Folgen betroffen.
Marwala: Ich glaube, dass man Anwendungen bereitstellen kann, die für diese Menschen bezahlbar sind. Das fängt ja schon mit einem Chatbot an, der Ihnen sagt, was Sie tun müssen, um beispielsweise ihre Ernte bestmöglich zu lagern. Früher musste man für so etwas auf einen Agrarinspektor warten, der ihnen im Zweifel gesagt hat: Ich kann frühestens in drei Wochen zu ihrer Farm kommen. Bis dahin ist die Ernte verfault oder Schädlinge haben sich darüber hergemacht. Jetzt hat jeder zu jeder Zeit Zugriff auf die Informationen, selbst meine Mutter nutzt solche Tools. Um es zusammenzufassen: Sie können den Rat von Experten sehr schnell und sehr preiswert einholen.
KNA: Klingt einleuchtend.
Marwala: Natürlich gibt es auch Probleme. Gerade in abgeschiedenen Landstrichen sind längst nicht alle Bauernhöfe mit dem Internet verbunden. Die Satellitentechnologie als Alternative ist teuer. Ein anderer Punkt: Um KI-Modelle zu trainieren, brauchen Sie sehr viel Energie. Und die stammt oft noch von fossilen Energieträgern. Entsprechend groß ist der CO2-Fußabdruck. Außerdem werden via KI Falschnachrichten aller Art verbreitet. Das erleben wir gerade bei den vielen Kriegen und Konflikten in der Welt.
KNA: Wie lässt sich das alles einfangen?
Marwala: Ich denke, hier sind die Regierungen im Zusammenspiel mit dem privaten Sektor gefragt. Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass es nicht ausreicht, wenn die Wirtschaft sich selbst kontrolliert. Denn Unternehmen haben das Ziel, ihre Profite zu vergrößern. Das geht mitunter auf Kosten von anderen Anliegen, wie etwa dem Umweltschutz. Wir brauchen also eine Form von Governance, die den guten Einsatz von KI fördert und deren Missbrauch verringert.
KNA: Wie und wo soll das stattfinden?
Marwala: Durch die einzelnen Staaten, aber auch auf kontinentaler Ebene. Das EU-Gesetz zur Künstlichen Intelligenz ist zwar nicht sonderlich beliebt, geht aber in die richtige Richtung. Etwas zugespitzt kann man sagen: Die EU ist eher risikoscheu, während das Silicon Valley nach immer neuen Möglichkeiten sucht, die Technologie voranzutreiben. Wir brauchen Innovationen, aber wir müssen diese auch einhegen und zwischen beiden Polen eine Balance finden.
KNA: Sie leiten die UN-Universität – welche Rolle sollten die Vereinten Nationen spielen?
Mrwala: Während die EU ihre Richtlinien erlassen kann und die Unternehmen aus dem Silicon Valley sich diesen Vorgaben bis zu einem gewissen Grad beugen, haben kleinere Länder diese Möglichkeit nicht. Deren Belange zu vertreten, ist eine der Aufgaben der Vereinten Nationen. Ein weiterer Aspekt: Künstliche Intelligenz beruht auf Daten. Klimadaten etwa müssen weltweit zugänglich sein. Das lässt sich nur über einen internationalen Vertrag regeln. Und dieser Vertrag wiederum muss kleinen und großen Nationen zugute kommen. Auch dafür braucht es die UN.
KNA: Wie blickt der Fachmann auf die deutsche Klima- und Energiepolitik?
Marwala: Zuerst einmal: Deutschland ist eines der wenigen Länder, in denen eine Grünen-Partei überhaupt Wählerstimmen bekommt. Es gibt eine öffentliche Debatte über die Herausforderungen durch den Klimawandel. Das allein ist schon viel wert. Davon unabhängig sehe ich in der Energiepolitik einige Fortschritte etwa beim Ausstieg aus der Atomenergie. Und das sage ich, weil ich das in Südafrika selbst erlebt habe: Deutsche Firmen bemühen sich um internationale Kooperationen. So ist in Zusammenarbeit mit einem deutschen Hersteller eine Fabrik für Dünnschicht-Solarmodule entstanden. Diese Module haben eine hohe Wirkung bei geringen Kosten.
KNA: Aber?
Marwala: Gerade die Handelskriege um Solarpanels zeigen, dass dahinter handfeste wirtschaftliche Interessen stecken, die letztlich den Fortschritt ausbremsen. Nur eine Zahl dazu: Wenn 80 Prozent der Menschen Zugriff auf Solarenergie hätten, könnten wir tatsächlich effektiv gegen Klimawandel vorgehen.
KNA: Zum Kampf gegen den Klimawandel soll auch eine steigende Anzahl von E-Autos beitragen.
Marwala: Ich warne davor, E-Autos als Allheilmittel zu betrachten. Wenn ich die Batterien mit Energie auflade, die aus Kohleverstromung stammt, dann läuft etwas falsch. Was ist mit dem Lithium, das zur Herstellung der Batterien notwendig ist? Oftmals wird der Rohstoff unter äußerst fragwürdigen Bedingungen, etwa durch Kinderarbeit, gefördert. Nein, es geht darum, dass wir die Gewohnheiten der Menschen verändern müssen und dass wir schonender mit den natürlichen Ressourcen umgehen. Der Kampf gegen den Klimawandel ist eine enorme Herausforderung – und eine Aufgabe für uns alle.