Der frühere Generalsekretär der CDU, Mario Czaja, hat ein Buch über Ostdeutschland geschrieben. Im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erklärt der Ost-Berliner, was der Westen anders machen sollte.
In seinem Buch “Wie der Osten Deutschland rettet”, das am Montag erscheint, schaut der frühere CDU-Generalsekretär Mario Czaja auf das schwierige Zusammenwachsen von Ost und West. Im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erläutert der Ost-Berliner, was in Zukunft besser laufen könnte. Czaja war 2023 überraschend von Parteichef Friedrich Merz als “CDU-General” ausgetauscht worden.
KNA: Herr Czaja, für viele Bundesbürger gilt Ostdeutschland 35 Jahre nach dem Mauerfall im Vergleich zum Westen als Problemzone – antidemokratisch und wirtschaftlich unterentwickelt. Sie stammen aus dem Osten. Wie sind Sie auf den provozierenden Titel Ihres neuen Buches gekommen?
Czaja: Für viele Bürger aus den alten Bundesländern ist die Wiedervereinigung ein Ereignis gewesen, das bei ihnen selbst zu keinen Veränderungen geführt hat. Das Leben ging so weiter wie bisher. Das war in Ostdeutschland anders. Für die Ostdeutschen veränderte sich fast alles. Sie mussten sich besonders beruflich oftmals völlig neu aufstellen und bei null beginnen. Ich glaube, dass wir aus diesen besonderen Erfahrungen eine ganze Menge mitbringen für die Herausforderungen, vor denen Deutschland heute steht.
KNA: Zum Beispiel?
Czaja: Zum Beispiel außenpolitisch, weil sich Europa nicht mehr allein auf Amerika als Partner verlassen kann, oder bei der Frage der Alterung der Bevölkerung, womit man sich im Osten Deutschlands aufgrund des Wegzugs von 1,8 Millionen jüngeren Arbeitskräften gleich direkt nach der Wende schon auskennt. Nicht zu vergessen wirtschaftlich. Wir müssen unbedingt die Vernetzung Deutschlands mit dem osteuropäischen Markt verbessern und die die Infrastruktur in Richtung Osten endlich zukunftsfähig aufbauen. Das kulturelle und technische Wissen existiert im Osten. Doch die notwendige Modernisierung des Schienennetzes nach Polen und Tschechien ist eine Investitionsaufgabe für das ganze Land.
KNA: Sie schildern in Ihrem Buch eine ganze Reihe von Problemlösungen, wie die Einführung einer “Ost-Quote”, die Schaffung von Sonderwirtschaftszonen im Osten oder mehr Fördermittel für Forschung und Entwicklung im Osten. Sind das nicht alles künstliche Instrumente? Warum können sich die Ostdeutschen nicht selbst helfen, wie es auch die Polen und Ungarn machen und gemacht haben?
Czaja: Anders als in Osteuropa ist die ostdeutsche Wirtschaft von der Treuhand in ziemlich kurzer Zeit abgewickelt worden. Von den einstigen Industriestandorten ist heute fast nichts mehr vorhanden. Ostdeutschland ist nur die verlängerte Werkbank für westdeutsche Unternehmen – mit nachhaltigen Folgen. Etwa mit denen, dass die Steuerzahlungen weitgehend am Hauptsitz des Unternehmens erfolgen und nicht da, wo die eigentliche Arbeit erbracht wird. Das hat Folgen für die ostdeutschen Kommunen und die ostdeutschen Bundesländer. Der Osten kann so nur eine geringere wirtschaftliche Kraft entwickeln, weil die Steuereinnahmen primär in den Westen fließen.
KNA: Dafür ist Ostdeutschland in westdeutsches Recht überführt worden. Ein demokratischer Service, der anderen Ländern Osteuropas nicht vergönnt war.
Czaja: Dieser Service, wie Sie sagen, hat zur Folge gehabt, dass beim Infrastrukturausbau Standards des Westens schematisch und oft undurchdacht angewandt wurden, die den Osten enorm überfordert haben, insbesondere auch deswegen, weil der Osten die größte Abwanderung an Fachkräften erlebt hat.
KNA: Der Solidarpakt hat dem Osten aber nicht geschadet…
Czaja: Die geläufige Erzählung zum Solidarpakt lautet, dass es sich ausschließlich um Transferleistungen von Westen Richtung Osten gehandelt hat. In zeige in meinem Buch, gestützt auf eine ganze Reihe renommierter Wirtschaftswissenschaftler, dass diese Erzählung in dieser idealisierten Form nicht richtig ist. Allein die 1,8 Millionen Arbeitskräfte, die in den 1990er Jahren aus dem Osten in den Westen gegangen sind, haben gut ein Drittel der Strukturförderung des Ostens refinanziert. Bitte beachten Sie auch, dass die Investition in Forschung und Entwicklung, die dem Osten nach der Wiedervereinigung zugesagt wurde, nicht annähernd in dem Maße erfolgt ist, wie es notwendig war und immer noch ist. Diese F&E-Investitionen sind im Westen von 1993 bis 2006 von 17 auf 51 Milliarden gestiegen, im Osten aber nur von 1,3 auf 4,5 Milliarden. Doch es geht mir nicht um mitleidsbeladenes Betteln um mehr Geld für Straßen und Brücken, es geht mir um eine Erhöhung der wirtschaftlichen Leistung unseres gesamten Landes. Die Investitionen, die jetzt im Osten noch fehlen, helfen allen und im besonderen Maße auch der westdeutschen Wirtschaft.
KNA: Bleiben wir bei der gesamtdeutschen Perspektive: Für Ihre Partei geht es bei den Landtagswahlen im September in Sachsen, Thüringen und Brandenburg darum, geeignete Koalitionspartner zu finden – das hat auch Auswirkungen auf die Bundespartei. Sie machen in Ihrem Buch klar: die AfD kommt nicht in Frage, die Linke auf jeden Fall. Verraten Sie uns, wie die CDU mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) umgehen soll?
Czaja: Die Linkspartei ist in Ostdeutschland eher eine Form der Sozialdemokratie. Sie ist nie vom Verfassungsschutz überwacht worden. Die AfD wird vollständig vom Verfassungsschutz überwacht, weil sie durch und durch antidemokratische Züge trägt und unser jetziges demokratisches System verändern und in großen Teilen auch ersetzen will. Das BSW ist bislang eine autokratisch von Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht geführte Partei ohne Parteiprogramm. Ob man mit dem BSW politisch zusammenarbeiten kann oder nicht, muss man an den handelnden Akteuren in den jeweiligen Bundesländern festmachen und an der Programmarbeit dieser Partei, die ich bislang nicht erkennen kann.
KNA: Angenommen im September käme es in Ostdeutschland zu politischen Umwälzungen: es muss Neuwahlen geben auf der Bundesebene, die CDU gewinnt, Friedrich Merz wird Kanzler, und es wird ein neuer Ostbeauftragter der Regierung gesucht. Stünden Sie zur Verfügung?
Czaja: Mein Buch ist kein Bewerbungsschreiben für eine wie auch immer geartete Position. Stattdessen geht es mir um Fortschritt im ganzen Land. Ein Beispiel: Wir haben derzeit so viele Erbschaften in Deutschland wie noch nie, während eine Hälfte der Bürger über kein Vermögen verfügt. Das ist für die Vitalität unseres Landes gefährlich. Deswegen wäre mir wichtig, dass im nächsten Koalitionsvertrag jedem Kind eine Art Ausgangskapital garantiert wird, das sogenannte Kinderstartkapital. Dieses Modell stand fast bis zuletzt im Entwurf für das Grundsatzprogramm der CDU. Dieses Geld kann nicht konsumiert, sondern nur umgewandelt werden – etwa in ein Stipendium oder in Gründungskapital für das eigene Unternehmen oder in die Altersvorsorge. Das wäre gerecht und produktiv für Ost und West.