Vorübergehend an Deutschland gescheitert, hat die Lieferketten-Richtlinie nun doch eine Mehrheit der EU-Regierungen gefunden – allerdings mit Abschwächungen. Die Zustimmung des EU-Parlaments steht noch aus.
Das geplante europäische Lieferkettengesetz hat in Brüssel eine entscheidende Hürde genommen. Im wiederholten Anlauf fand sich am Freitag eine ausreichende Mehrheit der EU-Staaten für die Richtlinie, die für den Schutz von Menschenrechten und Umweltstandards bei ausländischen Zulieferfirmen sorgen soll. In der jetzt nochmals abgeschwächten Fassung gelten die betreffenden Sorgfaltspflichten nur für EU-Unternehmen mit mehr als 1.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von mindestens 450 Millionen Euro statt wie bisher vorgesehen 300 Millionen Euro.
Der ursprüngliche Kompromiss, den Vertreter von EU-Parlament und Rat im Dezember ausgehandelt hatten, sah eine Anwendung für Firmen ab 500 Beschäftigten und 150 Millionen Euro Jahresumsatz vor, also für einen wesentlich größeren Kreis. Bei den Abstimmungen über die Richtlinie im Ausschuss der Ständigen Vertreter der EU-Mitgliedsländer enthielt sich Deutschland auf Druck des Koalitionspartners FDP.
Weil Enthaltungen als Nein gewertet werden, fehlte der Richtlinie bislang die nötige Mehrheit im Rat. Auch in der letzten Runde blieb Deutschland mit anderen Staaten zwar bei der Enthaltung, aber Italien und Frankreich stimmten nun zu. Diese von den Regierungsvertretern gebilligte Fassung braucht jetzt noch eine Bestätigung durch das EU-Parlament. Voraussichtlich kommt sie Ende April auf die Tagesordnung.
Die Grünen-Europapolitikerin Anna Cavazzini, Vorsitzende des Binnenmarkt-Ausschusses im EU-Parlament, kritisierte an dem Verfahren im Rat, die fortschreitenden Abschwächungen eines ausgehandelten Textes hätten “das etablierte Gesetzgebungsverfahren missachtet und das Europaparlament düpiert”. Auch Deutschlands Image als Verhandlungspartner habe gelitten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) müsse “seinen europapolitischen Kompass prüfen”.
Der rechtspolitische Sprecher der Europa-SPD, Tiemo Wölken, erklärte, die FDP sei “mit ihrer Sabotage des EU-Lieferkettengesetzes grandios gescheitert”. Er warf dem Koalitionspartner in Berlin vor, die Glaubwürdigkeit Deutschlands als Partner in Europa zu gefährden. “Die Fundamental-Opposition der FDP ist Gift für das europäische Projekt und gefährdet deutsche Interessen, weil sie die Bundesrepublik als Verhandlungspartner aus dem Spiel nimmt und so europäische Gesetze an Deutschland vorbei entstehen”, sagte Wölken.
Ähnlich schalt der Vorsitzende der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, Daniel Caspary, das Vorgehen der FDP als “Last-Minute-Aufstand” und PR-Gag, der zudem Deutschland um seine Mitsprache bei den Verhandlungen um das Gesetz gebracht habe. Die FDP-Europaabgeordnete Svenja Hahn schrieb es dagegen ihrer Partei zu, dass die Richtlinie an vielen Stellen verbessert worden sei. Unterm Strich bleibe das Lieferkettengesetz jedoch “praxisfern”.
Die Initiative Lieferkettengesetz, ein Bündnis von Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen sowie Gewerkschaften und Kirchen, äußerte sich trotz des “stark ausgehöhlten” Kompromisstextes erleichtert. Die EU habe deutlich gemacht, dass Menschenrechte und Klimaschutz wichtiger seien als Profite von Unternehmen um jeden Preis, erklärte Johanna Kusch, Sprecherin der Initiative.