Lisa Hambrecht hat Musik und Deutsch auf Lehramt studiert. Vollzeit als Lehrerin arbeitet die 29-Jährige dennoch nicht. “Das Lehramt ist nicht meine erste Wahl”, sagt die Absolventin der Musikhochschule Köln. Plan B und Sprungbrett zur Berufsmusikerkarriere, wie bei vielen Kommilitonen, sei es aber auch nicht. “Ich bin gerne Pädagogin, aber eben lieber als Lehrerin”, fasst sie ihre Entscheidung zusammen.
Sie fühle sich mit ihrer pädagogischen Arbeit innerhalb des allgemeinbildenden Schulsystems nicht frei genug. Sie selbst wolle nicht vorschreiben, wie an Musik herangegangen werden solle, sondern neue Perspektiven eröffnen. “Denn eigentlich haben alle Menschen ja einen Bezug zur Musik”, sagt die passionierte Sängerin. Für sie seien daher Schulen interessant, die bereits einen musikalischen Schwerpunkt hätten. Das sei leider in der Mehrheit nicht der Fall und schrecke sie ab – ebenso wie das Hamsterrad des Schulalltags. Dort finde “der Musikunterricht leider nicht viel Raum”.
Viele Studierende brechen Musikstudium ab
Rund 7.700 Studierende belegten im Wintersemester 2022/2023 das Fach “Lehramt Musik an allgemeinbildenden Schulen”. Doch die Zahl der Studienanfänger sinkt seit Jahren. An Grundschulen fehlen laut einer 2020 veröffentlichten Bertelsmann-Studie bereits rund 23.000 ausgebildete Musiklehrkräfte; an Gymnasien ist die Lage noch etwas besser. Doch bereits jetzt wird Erhebungen zufolge nur 43 Prozent des Musikunterrichts durch Fachlehrkräfte erteilt, 7 Prozent fallen aus.
Die Zahl an Musiklehrern in Deutschland dürfte Prognosen zufolge in den kommenden Jahren weiter deutlich sinken. Aus einer Berechnung im Auftrag der Deutschen Telekom-Stiftung wird am Beispiel Nordrhein-Westfalen prognostiziert, dass bis 2035 nur ein Drittel der benötigten Lehrstellen besetzt werden kann.
Gründe sind der hohe Altersdurchschnitt der Lehrkräfte – bis 2035 dürfte ein Drittel der Lehrkräfte altersbedingt ausscheiden – sowie eine hohe Teilzeitquote. Aber auch die mangelhafte Attraktivität des Studiums sowie des Musiklehrerberufs tragen dazu bei: Weniger junge Menschen wählen das Fach Musikpädagogik, wechseln im Zuge des Studiums in ein anderes Fach oder brechen das Studium ab.
Das ist das Ergebnis Studie des Deutschen Musikrats, der Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen gemeinsam mit der Bundesfachgruppe Musikpädagogik. Interessenten schreckt demnach nicht nur die anspruchsvolle Eignungsprüfung mit zwei Instrumenten, Musiktheorie und Gehörbildung ab. Das Studium bereitet laut Studie unzureichend auf den schulischen Alltag vor. Im Beruf sei indes die Arbeitsbelastung hoch – und die Möglichkeit, musikalisch-künstlerisch tätig zu werden, oft zu gering oder nur mit viel zusätzlichem Aufwand durchführbar.
Mentoren für Musiklehrer gefragt
Für Antje Valentin, Generalsekretärin des Deutschen Musikrates, braucht es für alle künftigen Musiklehrer – ob Neuling im Berufseinstieg oder Quereinsteiger – ein begleitendes Mentoring beim Arbeitsstart. “Es kommt etwa bei Quereinsteigern von Musikschulen nicht selten vor, dass sie sich allein gelassen fühlen und das Handtuch werfen”, sagt Valentin. Die Prognosen hinsichtlich des Mangels findet sie besorgniserregend. “An Grundschulen ist es wirklich ganz frappant.”
Sie wünscht sich, dass vor allem Musikhochschulen ihre Eignungsprüfung überdenken. Auch das Modell, die Prüfungen abzuschaffen und stattdessen das erste Semester auf Probe zu studieren, gebe es bereits. Zudem brauche es eine bessere Übersicht der Studienangebote.
Und politisch sollte der Musik mehr Gewicht gegeben werden. Oft werde in Lehrplänen Kunst und Werken mit der Musik zusammen aufgeführt. Da ziehe die Musik nicht selten den Kürzeren. Dabei sei die musikalische Bildung oder etwa der Tanz auch für räumliches Denken und den Spracherwerb hilfreich. “Ich wünsche mir immer den tanzenden Mathe- und die singende Deutschlehrerin”, sagt Valentin.

“Der Lehrerberuf ist komplexer geworden als früher”, resümiert der Vorsitzende der Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen, Christian Fischer. Es sei ein herausfordernder Beruf, in dem man sehr gut organisiert sein müsse. In der Musik komme oft die Zusatzbelastung der Ensemblearbeit noch hinzu. Zugleich öffne sich die Schere weiter: Es gebe demnächst mehr Schüler aufgrund geburtenstarker Jahrgänge – und weniger Lehrer aufgrund einer großen Berentungswelle.
Eine weitere Reduktion der Musikstunden an den Schulen wäre die absolut falsche Lösung, mahnt Fischer. Aber auch die Musikhochschulen müssten darauf reagieren. “Wir können nicht auf die Bewerber warten, sondern müssen proaktiv tätig werden.”
Inklusive Kultur an Musikschulen gefordert
Zudem brauche es eine offenere und inklusivere Kultur an den Musikhochschulen – von der Eignungsprüfung an. Hierzu müssten Hochschulen wie Kultusministerien an einem Strang ziehen – was vielerorts mit Blick auf die Zuständigkeiten für Bildungspolitik nicht leicht sei.
Etwas verhaltener sieht Fischer den Einstieg von Quereinsteigern in den Beruf. Sicher sei es gut, ihnen ein Fenster zu öffnen. “Aber es braucht gute Nachqualifizierungen, eben auch durch entsprechende Programme gemeinsam mit den Hochschulen. Man kann Quereinsteiger nicht einfach so in den Schulalltag einspeisen”, sagt der Rektor der Staatlichen Hochschule für Musik in Trossingen.
Musikalisches Niveau im Studium hoch
Lisa Hambrecht kann es gut verstehen, dass Bewerber von den Eignungsprüfungen abgeschreckt sind. Es brauche eine lange Vorbereitungszeit oder Vorwissen. Dafür brauche es in der Schulzeit musikalische Förderung und Ausbildung, und dazu fehle vielen aus bildungsferneren Familien der Zugang. Im Studium bleibe das musikalische Niveau hoch. Zugleich habe sie sich persönlich während ihres Studiums gut aufgehoben und gefördert gefühlt und viel Praxisbezug erlebt.