Der Münchner Verein “Aktion für das Leben” hilft seit einem halben Jahrhundert schnell, unbürokratisch und bayernweit Familien in Not. Bisher konnte er alle Gesuche bedienen. Ob das so bleibt, ist allerdings fraglich.
Wohl keine andere deutsche Rechtsvorschrift ist umstrittener als der Paragraf 218 im Strafgesetzbuch. Die Ampelregierung in Berlin will ihn jetzt ganz streichen. Schon vor 50 Jahren forderten prominente Frauen unter Slogans wie “Mein Bauch gehört mir” ein Recht auf Abtreibung. Der Bundestag beschloss eine Fristenlösung, die aber keinen Bestand hatte. Und der Münchner Katholikenrat initiierte im Juni 1973 eine Gegendemo mit mehr als 10.000 Teilnehmenden auf dem Odeonsplatz. Motto: “Aktion für das Leben”.
Noch im selben Sommer wurde unter diesem Namen ein Hilfsverein aus der Taufe gehoben. Er greift seither Müttern in ganz Bayern mit Spendenmitteln unter die Arme – unbürokratisch und ohne auf Herkunft oder Weltanschauung zu achten. Rund 15 Millionen Euro hat er in den 50 Jahren seines Bestehens weitergereicht. Am 20. Oktober wird das Jubiläum gefeiert.
Die Not, die den Verein auf den Plan ruft, hat viele Gesichter: Eine Zirkusartistin erwartet ihr zweites Kind, ihr Zuhause auf Rädern ist zu klein, sie benötigt dringend einen weiteren Schlafplatz. In ihrer Verzweiflung wendet sie sich an eine Schwangerenberatungsstelle. Die schreibt einen Antrag an die “Aktion für das Leben”. Nach wenigen Tagen fließt das Geld für ein warmes Vorzelt.
Ein Paar bekommt nach vielen Jahren noch einmal Zuwachs. Die Geschwister sind längst groß, ihre Anziehsachen und die Wickelkommode ausrangiert. Ausgerechnet jetzt verliert der Vater seine Arbeit. Für die Babyausstattung fehlt es an Rücklagen. Oder: Für ein Kind im Rollstuhl müssen die Eltern das Auto umrüsten, damit es zur Therapie gefahren werden kann, aber die Krankenkasse zahlt nicht. Bei einer Großfamilie streikt plötzlich die Waschmaschine. Oder, oder.
Etwa 1.200 Anträge pro Jahr bearbeitet Andrea Feix in der Vereinsgeschäftsstelle am Marienhof. Tendenz steigend. Feix ist die einzige Angestellte, auf Halbtagsbasis. Ein schlanker Apparat für eine Organisation, die inzwischen mehr als eine halbe Million Euro im Jahr bewilligt, nicht ohne zuvor Bedürftigkeit und alternative Finanzquellen zu prüfen. Schnelle Entscheidungen sind die Stärke des Vereins. Das wissen auch die Mitarbeiterinnen in den Gesundheitsämtern und Beratungsstellen aller Träger zu schätzen.
Auf eines ist die Aktion besonders stolz: Bisher konnte sie alle Hilfsgesuche bedienen. Ob das so bleibt, ist jedoch die Frage. Das Spendenaufkommen sinkt schon seit längerem. Die bisherigen Unterstützer, überwiegend aus dem Verbands- und Rätekatholizismus, sind in die Jahre gekommen, neue zu gewinnen ist nicht so einfach. 2021 und 2022 war ein tiefer Griff in die Rücklagen nötig, um allen Anfragen gerecht werden zu können.
Einige verstorbene Gönner haben die “Aktion für das Leben” großzügig im Testament bedacht. Ihre Nachlässe sollen nun in eine Verbrauchsstiftung eingebracht werden. “Das schafft uns ein gewisses Polster”, sagt die stellvertretende Vorsitzende Monika Meier-Pojda. “Das hat aber zugleich den Nachteil, dass das Kapital irgendwann weg ist.”
Meier-Pojda leitet den Verein kommissarisch noch bis zur nächsten Mitgliederversammlung am 17. November. Der erste Vorsitzende Karl Eder war seit 2009 im Amt und starb nach kurzer schwerer Krankheit vor acht Monaten – ein herber Verlust. Nun aber scheint eine jüngere Nachfolgerin gefunden.
Eder war auch ein politischer Kopf, der seinen Verein in öffentlichen Debatten positioniert hat – nicht oft, aber immer mal wieder. Etwa, als die rot-grüne Stadtratsmehrheit im Herbst 2020 die Münchner Rathausfassade zum “Safer Abortion Day” lila illuminierte. Auf der anderen Seite grenzt sich die “Aktion für das Leben” von anderen Initiativen ab, die auch als Anwälte des ungeborenen Lebens auftreten. Mit der sogenannten Gehsteigberatung vor Arztpraxen oder dem “Marsch für das Leben” hat der Verein nichts im Sinn.
Dass mit dem Rütteln am Paragrafen 218 nun auch die Pflichtberatung bei Schwangerschaftskonflikten auf der Kippe steht, kann Meier-Pojda allerdings nicht verstehen. Diese Kompromisslösung habe die Gesellschaft 30 Jahre lang befriedet. “Wie kann man das jetzt nur ohne Not in Frage stellen?”