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Dichterin im Nirgendland

„Dichterin“ steht auf ihrem Grabstein. „Wohin ich immer reise/ich komm nach Nirgendland“, hatte Mascha Kaléko (1907-1975) in ihrem Gedicht „Kein Kinderlied“ beklagt. „Ortlosigkeit und Unzugehörigkeit bestimmten ihr Lebensgefühl“, so formulierte es einmal der Literaturkritiker Wolfgang Schneider. Kaléko selbst schrieb: „Zur Heimat erkor ich mir die Liebe.“ Galizien im heutigen Südpolen, Berlin, New York, Jerusalem waren Stationen ihres Lebens. Sie starb vor 50 Jahren, am 21. Januar 1975, in Zürich.

„Die Dichterin zählt heute zu den wichtigsten, meistgelesenen deutschsprachigen Lyrikerinnen des 20. Jahrhunderts“, erklärt die Germanistin und Kaléko-Biographin Jutta Rosenkranz. „Die Auflagen ihrer Gedichtbände werden nur von denen Goethes übertroffen.“

Mit lässiger Sachlichkeit, Witz und Melancholie traf die Literatin den Ton aus der Lebenswelt der kleinen Leute. Ihre Gedichte spiegelten das hektisch-urbane Lebensgefühl der Berliner der späten 1920er und frühen 1930er Jahre. „Es ist eine aus Sentimentalität und Schnoddrigkeit großstädtisch gemischte, mokante, selbstironisierende Art der Dichtung, launisch und spielerisch, direkt von Heinrich Heine abstammend“, charakterisierte Hermann Hesse ihre Lyrik.

Geboren wurde sie am 7. Juni 1907 als Golda Malka Aufen in Westgalizien am Rande der Donaumonarchie, im heutigen polnischen Chrzanów. Ihre jüdischen Eltern, der russische Kaufmann Fischel Engel und die Österreicherin Rozalia Chaja Reisel Aufen, heiraten vorerst nur nach jüdischem Ritus.

Als 1914 der Erste Weltkrieg begann, flohen sie mit ihren beiden Töchtern nach Deutschland. In Frankfurt am Main wurde der Vater als „feindlicher Ausländer“ interniert, Mascha besuchte die Volksschule, bevor ihre Familie 1916 nach Marburg und 1918 nach Berlin-Spandau zog.

Nach der Mittleren Reife absolvierte sie eine Bürolehre beim Arbeiterfürsorgeamt der jüdischen Organisationen Deutschlands, besuchte aber nebenbei Abendkurse in Philosophie und Psychologie. Noch während der Ausbildung heiratete sie 1928 den Hebräisch-Lehrer Saul Kaléko. Im Jahr darauf erschienen ihre ersten beiden Gedichte in der Zeitschrift „Querschnitt“.

Ab 1930 verfasste sie Alltagslyrik für die „Vossische Zeitung“. „Du hast mir nur ein kleines Wort gesagt,/und Worte kann man leider nicht radieren./Nun geht das kleine Wort mit mir spazieren./ Und nagt.“ Zur Avantgarde gehörte sie nach eigenem Bekunden nicht, denn ihre Verse reimten sich: „Mein Gott, ich bin ganz unmodern,/Ich schäme mich zuschanden:/Zwar liest man meine Verse gern,/Doch werden sie – verstanden!“

Auch heute noch. „Mascha Kaléko ist keineswegs vergessen“, erklärt Jutta Rosenkranz. Vor dem 50. Todestag legte der Rowohlt-Verlag Kaléko-Gedichtbände neu auf, bei dtv erschienen Gedichte und Prosa der Autorin, ausgewählt von Daniel Kehlmann.

Im Romanischen Café in Berlin lernte Kaléko die Avantgarde kennen: Kurt Tucholsky, Joachim Ringelnatz, Else-Lasker-Schüler gaben sich dort die Klinke in die Hand. In der „Welt am Montag“ löste sie Erich Kästner mit dem wöchentlichen Gedicht ab.

1933 erschien ihr erstes Buch, „Das lyrische Stenogrammheft“, im Rowohlt Verlag. Noch hatten die Nazis sie nicht als Jüdin identifiziert. Ihr „Kleines Lesebuch für Große“ aber wurde noch in der Druckerei beschlagnahmt. „Ich teile ihnen mit“, schrieb die Reichskulturkammer 1937 an Ernst Rowohlt, „dass Frau Mascha Kaléko bereits am 8. August 1935 aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen worden ist, wonach ihr jede weitere schriftstellerische Tätigkeit untersagt ist.“

Im Dezember 1936 war die Dichterin Mutter geworden. Vater ihres Sohnes Evjatar/Steven war der Musikwissenschaftler Chemjo Vinaver. Das Paar heiratete 1938 und ging in die USA ins Exil. In New York ernährte Mascha Kaléko die Familie mit Werbetexten und managte ihren Mann.

Ihren frechen Berliner Ton aber hatte sie verloren. Verlust und Heimweh prägten nun ihre Gedichte. „Ihre Verse spiegeln eindrucksvoll ein individuelles Schicksal vor dem Hintergrund zeitgeschichtlicher Umbrüche“, erklärt Rosenkranz.

Kalékos „Verse für Zeitgenossen“ erschienen 1945 in einem Exilverlag und erst 1958 bei Rowohlt, in einer „gesäuberten“ Fassung. Was unter anderem nicht drin stand, hat Elke Heidenreich in ihrer Auswahl „Liebesgedichte“ abgedruckt: „Grell schreit von eurer Stirn das rote Zeichen./Verflucht auf ewig sei Germaniens Schwert!/Verhasst ward mir der Anblick eurer Eichen,/Die sich von meiner Brüder Blut genährt.“

Schon 1956 hatte Rowohlt das „Lyrische Stenogrammheft“ neu aufgelegt. Mascha Kaléko besuchte Deutschland und erfuhr wieder Zuspruch. Alfred Polgar, Thomas Mann, Albert Einstein machten ihr Mut. Aber als sie 1960 für den Fontane-Preis nominiert wurde, lehnte sie ab, weil ein ehemaliger SS-Mann in der Jury saß. 1966 zog sie ihrem Mann zuliebe nach Jerusalem, wo sie vereinsamte.

Von dem Tod ihres Sohnes 1968 erholte sie sich nicht mehr. Fünf Jahre später starb auch ihr Mann. „Bedenkt: Den eigenen Tod, den stirbt man nur/Doch mit dem Tod der andern muss man leben“, schrieb sie in ihrem „Memento“.

Mascha Kaléko starb 1975 in Zürich an den Folgen von Magenkrebs und wurde auf dem Israelitischen Friedhof Oberer Friesenberg begraben. Lebendig bleiben ihre Verse. „Mein schönstes Gedicht?/Ich schrieb es nicht./Aus tiefsten Tiefen stieg es./Ich schwieg es.“