Wehrpflicht, Pflichtdienst oder Freiwilligendienst? Nach Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine diskutiert Deutschland darüber, wie das Land widerstandsfähiger werden kann. Ein Überblick über mögliche Lösungen.
Der Krieg in der Ukraine hat in Deutschland die Debatte rund um eine Rückkehr zur Wehrpflicht oder gar eine Dienstpflicht angeheizt. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) gibt einen Überblick über die Modelle, die derzeit diskutiert werden.
Rein rechtlich gilt die Wehrpflicht in Deutschland nach wie vor. Sie wurde lediglich vom Bundestag im Jahr 2011 für Friedenszeiten ausgesetzt. Politik und Experten sind sich weithin einig, dass eine Wehrpflicht nach altem Vorbild derzeit nicht realistisch ist. Notwendig wären etwa ein Neubau von Kasernen und die Wiedererrichtung einer riesigen Infrastruktur mit Ausrüstung und Waffen. Zudem verweisen Experten darauf, dass das erweiterte Aufgabenspektrum der Bundeswehr eine größere Professionalität der Soldaten erfordert. Dies sei mit kurzzeitig dienenden Wehrpflichtigen nicht zu gewährleisten.
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hat das Modell eines auf Freiwilligkeit beruhenden Wehrdienstes nach schwedischem Vorbild vorgestellt. Danach sollen alle Männer und Frauen, die im wehrdienstfähigen Alter sind, angeschrieben werden und einen Fragebogen über ihre Fitness und Motivation erhalten. Die Beantwortung ist für die Männer verpflichtend und für Frauen freiwillig. Ein Teil der jungen Männer, die den Fragebogen ausgefüllt haben, wird aufgefordert, sich mustern zu lassen. Frauen können sich freiwillig einer Musterung unterziehen. Die Geeignetsten und Motiviertesten werden ausgewählt. Allerdings gibt es Zweifel, ob so ein Dienst, der nur einen kleinen Anteil von Bürgerinnen und Bürgern betreffen würde, verfassungsgemäß ist.
Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Carsten Breuer, sagte der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” Anfang März, derzeit fehlten der Bundeswehr rund 100.000 Soldaten. Aktuell verfüge die Armee über rund 200.000 aktive Soldaten, eine stehende Reserve von 60.000 und eine allgemeine Reserve von 100.000. Benötigt würden insgesamt 460.000 aktive Soldaten und Reservisten. Mit den aktuellen Zahlen sei das nicht möglich.
Seit Jahren fordert Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine soziale Pflichtzeit für Männer und Frauen – auch wegen des besseren Zusammenhalts der Gesellschaft. Ein solcher Pflichtdienst könne dazu beitragen, dass die Bürger nicht in der eigenen Blase lebten, sondern auch Menschen kennenlernten, die einen anderen Lebensstil pflegten und andere politische oder religiöse Überzeugungen hätten. Das von Steinmeier vorgeschlagene Modell soll für jeden gelten und zwischen sechs und zwölf Monate dauern. Die Pflichtzeit könne auch auf mehrere Lebensabschnitte verteilt werden. Man könne den Dienst in sozialen Einrichtungen, in der Flüchtlingshilfe, in der Umwelt und Klima-Arbeit, im Katastrophenschutz oder bei der Bundeswehr absolvieren.
Die SPD knüpft an die Vorschläge von Steinmeier und Pistorius an. Sie hat eine soziale Pflichtzeit vorgeschlagen, die mindestens drei Monate dauern soll. Mit Blick auf den Wehrdienst strebt sie auch den Aufbau einer durchhaltefähigen Reserve für den Ernstfall an.
Die CDU plant eine “aufwachsende Wehrpflicht”, also eine flexible und schrittweise Rückkehr zur Wehrpflicht. Damit verbunden ist das Modell eines verpflichtenden Gesellschaftsjahrs. Alle jungen Männer und Frauen werden gemustert. Einberufen wird, wer tauglich ist und sich zum Wehrdienst bereit erklärt. “Die Bundeswehr soll nur so viele Einberufungen vornehmen, wie es die Streitkräfteplanung erfordert”, schreibt die CDU in ihrem Wahlprogramm. Ergänzend will die Union den Dienst in den “Blaulichtorganisationen” (Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienste, Zivil- und Katastrophenschutz) ausbauen. Bis ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr für Männer und Frauen umgesetzt werden kann, möchte die CDU die Freiwilligendienste stärken.
Die bayerischen Grünen haben am Wochenende einen verpflichtenden “Freiheitsdienst” vorgeschlagen. Dieser solle für alle Menschen zwischen 18 und 67 Jahre gelten, sechs Monate dauern und als Wehrdienst, beim Bevölkerungsschutz oder als Gesellschaftsdienst abgeleistet werden. Schon abgeleistete Dienste oder bestimmte ehrenamtliche Tätigkeiten könnten angerechnet werden.
Hilfswerke und Wohlfahrtsverbände sind gegen einen Pflichtdienst. Sie setzen auf einen Ausbau der bestehenden Angebote, die besser als bisher finanziert werden sollen. Derzeit bestehen etwa der Bundesfreiwilligendienst, das Freiwillige Soziale und das Freiwillige Ökologische Jahr oder der Freiwilligendienst weltwärts im Ausland. Zugleich gibt es auch einen Freiwilligen Wehrdienst und einen Freiwilligen Wehrdienst im Heimatschutz.