Nach dem Machtwechsel in Syrien wird in Deutschland über den Umgang mit Geflüchteten diskutiert. Die einen wollen zügig Rückführungen, andere warnen vor vorschnellen Schlüssen. Asylanträge werden erst mal zurückgestellt.
Der Putsch und Machtwechsel in Syrien entfachen in Deutschland eine Debatte über den Umgang mit Schutzsuchenden aus dem Land. Aus der Union kam die Idee von “Rückkehr-Anreizen” für Syrer, von AfD und der Wagenknecht-Partei BSW kamen direkte Aufforderungen zur Rückkehr. Politiker anderer Parteien, Hilfswerke und Menschenrechtler warnten kurz nach dem Sturz des langjährigen Machthabers Baschar al-Assad dagegen vor übereiltem Aktivismus.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) begrüßte, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Entscheidungen über vorliegende Asylanträge von Syrern vorerst gestoppt hat. Medienberichten zufolge geht es um rund 47.000 Anträge. Faeser sagte, die Lage in Syrien sei sehr unübersichtlich. Deshalb seien konkrete Rückkehrmöglichkeiten noch nicht vorhersehbar. Es sei unseriös, darüber zu spekulieren.
Die weitere Bewertung des Schutzstatus der in Deutschland lebenden anerkannten syrischen Flüchtlinge hänge von der weiteren Entwicklung ab, so Faeser. Laut Innenministerium waren Ende Oktober im Ausländerzentralregister rund 974.000 Menschen mit syrischer Staatsangehörigkeit eingetragen.
Der Vize-Chef der Unionsfraktion im Bundestag, Jens Spahn (CDU), warb bei RTL/ntv dafür, dass Deutschland aktiv für die Rückkehr nach Syrien werben solle, etwa mit Plätzen auf Charterflügen und 1.000 Euro Startgeld. Zudem solle die Bundesregierung klar die Erwartung formulieren, dass junge Menschen in Syrien für den Wiederaufbau benötigt würden. Auch schlug Spahn für das Frühjahr eine internationale Wiederaufbau- und Rückkehrkonferenz vor.
AfD-Chefin Alice Weidel sagte, es stehe nun außer Frage, dass “bei vielen Personen aus Syrien der Fluchtgrund entfallen” sei – vor allem bei jenen, die angegeben hätten, von der ehemaligen Regierung verfolgt worden zu sein. “Selbstverständlich müssen diese Personen auch zeitnah in ihr Heimatland zurückkehren”, sagte Weidel dem “Stern”.
Die BSW-Vorsitzende Sahra Wagenknecht sagte dem Magazin: “Von den Syrern, die hierzulande die Machtübernahme durch Islamisten bejubeln, erwarte ich, dass sie möglichst bald in ihr Heimatland zurückkehren.” Zugleich forderte sie die Bundesregierung auf, sich in Syrien für Mädchen und Frauen sowie für Alawiten, Christen, Kurden, Armenier und andere Minderheiten einzusetzen, damit diese nicht in die Flucht getrieben würden.
Politiker anderer Parteien warnten vor einer vorschnellen Diskussion über Abschiebungen syrischer Asylbewerber. Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt sagte im rbb24-Inforadio, viele der Geflüchteten wollten so schnell wie möglich in ihre Heimat zurückkehren. Aber die Vorstellung, dass Deutschland nun etwa Kinder, die hier in die Schule gehen, sofort zurückschicke, führe bei den Betroffenen zu großer Unsicherheit. Deutschland könne Syrien bei der Stabilisierung unterstützen, aber den Konflikt nicht lösen.
Der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle sagte dem Portal t-online, Deutschland sollte zusammen mit seinen Verbündeten alles daran setzen, in Syrien für eine stabile Ordnung zu sorgen, “damit keine neue große Fluchtbewegung entsteht”. Zugleich mahnte auch er zu Zurückhaltung: “Mit Blick auf die syrischen Staatsangehörigen in Deutschland ist es zu früh, um konkrete ausländerrechtliche Konsequenzen zu ziehen.”
Kritik an vorschnellen Forderungen kam auch von der seit Jahren in Syrien aktiven Hilfsorganisation Caritas international: “Es ist jetzt definitiv nicht der passende Zeitpunkt, um eine Rückkehr-Debatte anzustoßen”, sagte Leiter Oliver Müller der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Innerhalb von Syrien seien nach wie vor Millionen Menschen vertrieben und auf der Flucht. “90 Prozent der syrischen Bevölkerung lebt in Armut, die humanitäre Not im Land ist immens.”
Das Deutsche Institut für Menschenrechte mahnte ebenfalls zur Zurückhaltung. Derzeit sei die Lage vor Ort viel zu unübersichtlich, als dass bereits über eine Rückführung von Geflüchteten ernsthaft gesprochen werden könne. Insbesondere mit Blick auf Minderheiten wie Drusen oder syrische Christen sei unklar, ob ihnen in der Heimat Verfolgung drohe.
Die Gesellschaft für bedrohte Völker appellierte an die Bundesregierung, die Menschen in Syrien nicht ihrem Schicksal zu überlassen. Die Bundesregierung solle sich aktiv für einen demokratischen Übergangsprozess einsetzen. Die Islamisten, die nun die Macht übernehmen wollten, warteten auf Rache oder darauf, endlich einen islamistischen Staat in Syrien zu errichten.