Die nächste Pandemie kommt bestimmt. Deshalb wäre eine Aufarbeitung der Corona-Zeit so wichtig. Zugleich ist da die Sorge, dass rechte Kreise die Debatte nutzen, um die Demokratie zu schwächen.
Nächtliches Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen, abgesagte Gottesdienste, mit Flatterband abgesperrte Spielplätze, Maskenpflicht und Impfzwang: Genau fünf Jahre sind es her, dass der erste Corona-Lockdown Deutschland zum Stillstand brachte. Am 16. März 2020 wurde er beschlossen und trat am 22. März 2020 in Kraft.
Die Pandemie hat nicht nur die Gesundheitssysteme auf die Probe gestellt, sondern auch tiefgreifende gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Veränderungen mit sich gebracht. Fünf Jahre nach dem Beginn der bisher verheerendsten Pandemie des 21. Jahrhunderts wird deshalb erneut über eine Aufarbeitung der Corona-Krise debattiert. War der erste Lockdown überzogen? Wurden Junge oder Alte zu sehr benachteiligt? Wie sinnvoll war die Maskenpflicht? Und wie effektiv waren Impfungen und 3G-Regeln?
Eine systematische Bilanz ist bislang ausgeblieben. Weder haben sich die Bundestagsparteien auf eine Enquetekommission geeinigt. Noch ist der von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) geforderte Corona-Bürgerrat eingesetzt worden, an dem auch ausgeloste Bürger beteiligt werden sollten. Auch die Pläne, das Infektionsschutzgesetz zu reformieren, um besser auf neue Pandemien vorbereitet zu sein, versandete.
Einzelne Institutionen haben für sich Bilanz gezogen: Eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingerichtete Kommission für Pandemieforschung hat im vergangenen Jahr einen Bericht zur Rolle der Wissenschaft vorgelegt. Der Deutsche Ethikrat hat mehrfach während der Pandemie Fehler benannt und Empfehlungen für einen künftigen Umgang mit Pandemien vorgelegt. Von den Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden kam bislang wenig Systematisches.
Bundespräsident Frank Walter Steinmeier ist damit unzufrieden; er macht Druck auf den künftigen Bundestag. “Ich bin überzeugt, in der Aufarbeitung der Pandemie liegt eine Chance für die Demokratie”, sagt das Staatsoberhaupt. “Sie wird uns helfen, Vertrauen von den Menschen zurückzugewinnen, die es in den vergangenen Jahren verloren haben.” Er könne sich deshalb nicht vorstellen, dass der neu gewählte Bundestag diese Chance nicht ergreifen werde.
Steinmeier lädt am Freitag deshalb zu einem öffentlichen Austausch über die gesellschaftlichen Nachwirkungen der Corona-Zeit ins Schloss Bellevue ein. Beteiligen werden sich ein Infektiologe, ein Intensivkrankenpfleger, die Leiterin einer Grundschule und eine Gasthofinhaberin.
Doch warum tun sich Politik und Gesellschaft so schwer mit der Aufarbeitung? “Um noch besser auf künftige Krisen vorbereitet zu sein, sind eine systematische und wissenschaftsgeleitete Aufarbeitung der Pandemie und Pandemiemaßnahmen sowie der Rolle der Wissenschaft dringend notwendig”, forderte die Deutsche Forschungsgemeinschaft im vergangenen Jahr.
Auch die damalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Alena Buyx, formulierte die Notwendigkeit nach systematischer Aufarbeitung. Der Ethikrat hatte schon 2022 empfohlen, dass alle angesichts einer Pandemie getroffenen Schutzmaßnahmen immer wieder auf Wirksamkeit, Angemessenheit und langfristige Folgen überprüft werden müssten. Auch müssten Einrichtungen im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialwesen “krisenrobuster” werden.
Noch-Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zeigt mit seiner Forderung, eine Aufarbeitung müsse “nach vorn gerichtet sein”, wo wohl das größte Hindernis liegt. Auch die Soziologin Jutta Allmendinger verwies am Dienstag im WDR auf eine große Sorge der Verantwortungsträger, dass die Debatte über mögliche Fehler zu neuer Hetze und neuen Polarisierungen führen könnte. Kaum verheilte Wunden könnten wieder aufbrechen. Und Buyx warnte, die Aufarbeitung der Pandemie könnte von einer kleinen, sehr lauten Gruppe instrumentalisiert werden, um das Vertrauen in Staat und Demokratie zu schwächen.