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Christen nicht willkommen

In Nordrhein-Westfalen leben etwa 23 000 syrisch-orthodoxe Christinnen und Christen. Sie hoffen auf einen „Prozess der Demokratisierung“ in ihrer Heimat

Von Christian Hohmann und Dirk Johnen
 
Der Krieg in Syrien tobt seit sieben Jahren. Mehr als 400 000 Menschen sind dort bisher getötet worden. Unter den anhaltenden Kämpfen leidet auch die Syrisch-Orthodoxe Kirche von Antiochien, die inzwischen mehr als 100 000 Gläubige in Deutschland – davon etwa 23 000 in Nordrhein-Westfalen – zählt.
Adnan Mermertas aus Herne und Augin Yalcin aus Rheda-Wiedenbrück, die in NRW den syrisch-orthodoxen Religionsunterricht koordinieren, blicken auf Fotos. Sie zeigen den Besuch ihres Patriarchen in der völlig zerstörten Stadt Deir El Zor im Nordosten Syriens: Mor Ignatius Aphrem II. geht durch eine Stadt, die in Trümmern liegt. Nur wenige Menschen begleiten ihn.

Kirchen werden bewusst zerstört

Auf weiteren Bildern steht er in den Ruinen der Syrisch-Orthodoxen St. Marien-Kirche. Die Zerstörungen dieser Kirche machen deutlich, dass die verschiedenen Kriegsparteien wenig Rücksicht auf sakrale Gebäude nehmen. Die ersten Zerstörungen waren die Folge von Raketenangriffen durch das syrische Regime. Ende 2012 explodierte eine Autobombe der Al-Nusra-Front neben der Kirche und schließlich wurde die Kirche vom sogenannten „Islamischen Staat“ (IS) bewusst zerstört, nachdem dieser Deir El Zor eingenommen hatte.
Als der IS nach Deir El Zor kam, flohen alle christlichen Familien bis auf eine, die nicht mehr rechtzeitig fliehen konnte. Inzwischen hat die syrische Armee die Stadt wieder zurückerobert. Vor dem Krieg lebten dort etwa 4000 Christen. Der Patriarch traf bei seinem Besuch nur noch einen überlebenden Christen.
„Unser Patriarch geht zu den Menschen hin, um ihnen Mut zu machen, in die befreiten Städte wieder zurückzukehren“, berichtet Mermertas. „Er besucht auch die Flüchtlingslager in Homs, sitzt mit den Flüchtlingen auf dem Boden und übernachtet im Lager“, fügt Yalcin hinzu, der mit dem heutigen Mor Ignatius Aphrem II. früher schon in Damaskus zusammengearbeitet hat.
Außerdem sorgte der Patriarch dafür, dass die Syrisch-Orthodoxe Kirche in der zerstörten Stadt erst kürzlich eine Klinik eröffnet hat, damit Menschen medizinisch versorgt werden. Hilfe bekommen nicht nur die zwei Dutzend Christen, die wieder zurückgekehrt sind, sondern auch Tausende von Muslimen, die hier leben.    

Syrische Christen als „Botschafter Christi“

Bei der Weltmissionskonferenz im tansanischen Arusha Anfang März berichtete Mor Ignatius Aphrem II., wie geschockt er vom Ausmaß der Zerstörung durch die Terroristen gewesen sei. Trotzdem habe er während seines Besuchs zum ersten Mal wieder die Göttliche Liturgie in den Trümmern der St. Marien-Kirche feiern können. Dazu wurden Manuskripte und liturgische Bücher benutzt, die im Schutt lagen. Neben wenigen Christen nahmen einige Muslime am Gottesdienst teil. Doch die Erfahrungen dieses Krieges stehen für ihn in einer Reihe mit den Verfolgungen und der Ablehnung, mit denen nicht nur die Christen im Mittleren Osten, sondern in vielen Ländern heute konfrontiert sind. Dabei hat er auch den Völkermord in osmanischer Zeit nicht vergessen, dem auch mehr als 500 000 syrisch-orthodoxe Christen zum Opfer gefallen sind: „Das Christentum ist in dieser Welt nicht willkommen.“ Aber, so fährt der Patriarch in seiner Ansprache fort: „Trotz dieser entmutigenden Situation hören wir nicht auf, Vergebung zu predigen.“
Die syrisch-orthodoxen Christen verstehen sich als „Botschafter Christi“, die sein Evangelium des Friedens und der Liebe bezeugen. Dies tun sie ganz praktisch in der Hilfe für Flüchtlinge etwa in der Hauptstadt Damaskus. Und was erhoffen sich die syrisch-orthodoxen Christen in Deutschland? Yalcin rechnet mit einem „schleichenden Prozess der Demokratisierung“, aber es soll sich nicht wiederholen, was sie seit mehr als 15 Jahren im benachbarten Irak an dauerhafter Krise und Staatsverfall erleben.