Artikel teilen

Bundestag entzieht Scholz das Vertrauen

Der Bundestag hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) gut neun Monate vor dem regulären Ende der Wahlperiode das Vertrauen entzogen. Mit der Mehrheit von 394 Nein-Stimmen und 116 Enthaltungen verlor Scholz am Montag im Parlament in Berlin die Vertrauensfrage. Nur 207 Abgeordnete sprachen dem Kanzler in der namentlichen Abstimmung das Vertrauen aus. 717 Stimmen wurden insgesamt abgegeben. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kann nun den Bundestag auflösen, damit wie geplant am 23. Februar vorgezogene Neuwahlen stattfinden können.

Das Grundgesetz sieht in Artikel 68 die Vertrauensfrage als Instrument für frühere Neuwahlen vor. Scholz hatte die Frage gestellt, um sie zu verlieren und damit den Weg für vorgezogene Neuwahlen freizumachen. Die von ihm geführte und von wiederkehrendem Streit geprägte Koalition aus SPD, Grünen und FDP war endgültig zerbrochen, nachdem Scholz am 6. November FDP-Chef Christian Lindner aus dem Amt des Bundesfinanzministers entlassen hatte. SPD und Grüne haben im Bundestag keine Mehrheit mehr.

In seiner Erklärung machte Scholz der FDP und ihrem Vorsitzenden nochmals schwere Vorwürfe. Es habe „wochenlange Sabotage der eigenen Regierung durch die freien Demokraten“ gegeben, sagte Scholz. Die rund halbstündige Rede von Scholz und die anschließende mehr als zweistündige Debatte im Bundestag gaben einen Vorgeschmack auf den anstehenden Wahlkampf. Scholz, den die SPD erneut als Kanzlerkandidaten in die Wahl schickt, warb für eine Reform der Schuldenbremse und gab mit Forderungen nach einer Senkung der Mehrwertsteuer für Lebensmittel und einen höheren Mindestlohn Einblicke in das SPD-Wahlprogramm, das die Partei offiziell am Dienstag vorstellt.

Unions-Kanzlerkandidat und Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU), der ebenfalls am Dienstag sein Wahlprogramm präsentieren will, warf Scholz vor, dessen viel beschworener Respekt höre offensichtlich dort auf, wo es andere politische Meinungen gebe. Den Umgang von Scholz mit Ex-Finanzminister Christian Lindner (FDP) nannte Merz „nicht nur respektlos“, es sei eine „schlichte Unverschämtheit“.

Gleichzeitig versprachen sich die Kontrahenten Scholz und Merz Fairness im Wahlkampf. Er werde „hart in der Sache“ argumentieren, „aber sehr darum bemüht, den gegenseitigen Respekt aufrechtzuerhalten“, sagte Merz. Scholz sagte, zur Demokratie gehöre, dass Parteien mit unterschiedlichen Programmen gegeneinander antreten, danach aber auch zum Wohl des Landes zusammenarbeiten könnten.

Bundeswirtschaftsminister und Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck sagte, jede Partei werde im Wahlkampf ihre eigene Position klar darstellen. Zugleich müssten aber alle in der Lage bleiben, wieder aufeinander zuzugehen und Kompromisse zu machen. Die Grünen wollten sich bei der Vertrauensfrage enthalten, weil sie noch Teil der Regierung sind, andererseits aber Neuwahlen nicht entgegenstehen.

FDP-Chef Lindner entgegnete den Vorwürfen von Scholz, dessen Rede habe gezeigt, dass er keine Kraft für Veränderungen habe. Er warf dem SPD-Kandidaten vor, eine „Verteilungspolitik auf Pump“ zu planen.

AfD-Spitzenkandidatin Alice Weidel kritisierte, die Vertrauensfrage komme zu spät. Sie nutzte ihre Rede vor allem für Forderungen nach einem harten Kurs in der Migrationspolitik. BSW-Chefin Sahra Wagenknecht sagte, die Ampel-Regierung habe das Leben der Menschen „spürbar verschlechtert“. Statt sich zu entschuldigen, habe Scholz eine Wahlkampfrede „abgespult“. Der Linken-Politiker Sören Pellmann warf der als „Fortschrittskoalition“ gestarteten Ampel vor, Stagnation herbeigeführt zu haben.

Nach der verlorenen Vertrauensfrage wollte Scholz noch am Montag Bundespräsident Steinmeier Neuwahlen vorschlagen. Steinmeier hat 21 Tage Zeit, darüber zu entscheiden. Scholz und seine Regierung bleiben auch nach der verlorenen Vertrauensfrage normal, nach der Konstituierung eines neuen Bundestags geschäftsführend im Amt, bis nach der Neuwahl ein neues Kabinett vereidigt wird.