Von Markus Dröge
Ein einzelner dünner Arm streckte 1959 den Menschen in Ost- und Westdeutschland seine Hand auf Plakaten entgegen und warb um Mitleid für die hungernden Völker Afrikas, Asiens und Lateinamerikas. Lange war diese sogenannte „Hungerhand“ das Symbol für die Spendenaktion „Brot für die Welt“. 19 Millionen Mark kamen beim ersten Spendenaufruf zusammen. Viel mehr als alle Beteiligten erwartet hatten. Der eindringliche Appell hatte die Menschen bewegt. Und dazu auch die eigene Erfahrung von Hunger und Not im Krieg. Der gewaltige Erfolg der ersten Aktion war das Signal, die Arbeit fortzuführen. Seither wird jedes Jahr im Advent zu einer neuen Spendenaktion aufgerufen und in den Gottesdiensten der Heiligen Nacht für „Brot für die Welt“ die Kollekte eingesammelt. Solidarität mit den Armen der Welt steht im Zentrum. „Brot für die Welt“ versteht sich als Anwalt der Menschenrechte für die benachteiligten Menschen in aller Welt und macht mit seinen Aktionen aufmerksam auf die wirtschaftlichen und politischen Verflechtungen, die Hunger und Elend verursachen. Als die erste Aktion „Brot für die Welt“ in Berlin eröffnet wurde, war es erst gut zehn Jahre her, dass Eleanor Roosevelt, Witwe des amerikanischen Präsidenten und Menschenrechtsaktivistin, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen verlesen hatte. „Alle Menschen sind frei und gleich an Rechten geboren“ (Artikel 1) und „Jeder hat das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person“ (Artikel 3). Erstmals wurden die Mindeststandards für den Schutz aller Menschen, egal welcher Herkunft, Abstammung, welchen Geschlechts, welchen Glaubens verbindlich festgeschrieben. Nicht einmal ein halbes Jahr später entstand einer der wohl klarsten und schönsten Sätze, die je in deutscher Sprache geschrieben wurden: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ (Artikel 1, Satz 1 des Grundgesetzes, am 8. Mai 1949 vom Parlamentarischen Rat beschlossen). Knapper kann das christliche Menschenbild nicht zusammengefasst werden: Die Würde des Menschen, jedes Menschen, ist unantastbar! Es gibt kaum einen passenderen Ort im Kirchenjahr, als die Heilige Nacht, um zu zeigen, dass Gott selbst uns ruft, für die Rechte aller Menschen einzutreten. Zu Weihnachten zeigt Gott die unverletzliche Würde des Menschen, indem er selbst Mensch wird. Als neugeborenes Kind liegt er hilflos in einer Krippe, braucht Schutz und Geborgenheit. Maria und Josef sorgen sich um ihn, so gut es die düsteren Zeiten und Umstände zulassen. Wenn Gott selbst Schutz und Geborgenheit braucht, wie viel mehr dann jeder einzelne Mensch! Verfolgung, Flucht vor Hunger und Armut sind bis heute bittere Realitäten. Mit der Weihnachtsbotschaft ruft Gott die Menschheit auf, dafür zu sorgen, ja, zu kämpfen, dass diese Vision auch Realität wird: gleiche Würde und gleiche Rechte für alle. Das wird uns zu Weihnachten wieder neu vor Augen geführt – beim Blick in die Krippe, auf den nackten, schutzlosen, noch völlig von anderen Menschen abhängigen Gottessohn. „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden!“