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Brasilianerinnen protestieren vor Konzernzentrale des TÜV Süd

2019 begrub eine Schlammlawine hunderte Menschen in einer brasilianischen Bergbaustadt unter sich. Opferangehörige sehen eine Mitschuld bei der Münchner Firma. Ob es noch zu einem Prozess in Deutschland kommt, ist offen.

Gut fünf Jahre nach dem Dammbruch in einer brasilianischen Eisenerzmine mit über 270 Toten fordern Hinterbliebene auch in Deutschland Gerechtigkeit. Am Dienstagnachmittag protestierten sie vor der Konzernzentrale des TÜV Süd in München. Bei dem Unglück im Januar 2019 handle es sich um ein Verbrechen, das deutsche Unternehmen treffe eine Mitschuld. Nur vier Monate zuvor hatte der TÜV Süd die Sicherheit des später geborstenen Rückhaltebeckens für Minenschlämme bei Brumadinho bescheinigt.

Bei der Kundgebung wurden die Namen der Toten verlesen und Porträtfotos von ihnen gezeigt. Daneben war auf einem Transparent die Aufschrift “Angekündigter Tod” zu lesen.

Der Verein der Opferangehörigen (AVABRUM) wird vom katholischen Hilfswerk Misereor unterstützt. Am Montag hatten sich Vereinsmitglieder und ihre Rechtsbeistände mit Münchner Staatsanwälten getroffen. Seit einer Anzeige von fünf Hinterbliebenen im Oktober 2019 prüfen deutsche Ermittler die Rolle des TÜV Süd bei dem Unglück. Die Vorwürfe lauten auf fahrlässige Tötung, Privatbestechung und Herbeiführung einer Überschwemmung. Auch in Brasilien laufen noch Verfahren.

Andere Zertifizierungsfirmen hätten sich geweigert, den Damm für stabil zu erklären, sagte AVABRUM-Direktorin Nayara Ferreira der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Nach den Ermittlungen der Polizei in Brasilien sei klar, dass der TÜV Süd sich anders entschieden habe, um weitere Millionen-Aufträge an Land zu ziehen. “Das Einzige, was uns Hoffnung gibt, ist, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden, die das Dokument unterzeichnet haben.” Allerdings laufe für das Münchner Verfahren in wenigen Monaten die Verjährungsfrist ab.

“Auf seiner Website schreibt der TÜV Süd, Ziel des Unternehmens sei es, Menschen zu schützen”, sagte Ferreiras Kollegin Josiane Melo. “Uns blieben nur die zerriebenen Körper unserer Angehörigen.” Beide Frauen haben Familienmitglieder bei dem Dammbruch verloren. 272 Tote seien geborgen worden, sagten sie. Drei Personen würden immer noch vermisst.

Melo kritisierte außerdem, dass die in Brasilien angeklagten Beschäftigten des TÜV Süd bei Vernehmungen durch Polizei und Justiz sowie parlamentarische Untersuchungsausschüsse geschwiegen hätten. Dies stehe im Widerspruch zur Transparenz, die das Unternehmen für sich reklamiere.

Weder Staatsanwaltschaft noch TÜV Süd reagierten zunächst auf eine Anfrage der KNA. Die jüngste öffentliche Äußerung des Prüfunternehmens stammt vom Februar 2019. Ein Konzernsprecher erklärte damals, man untersuche auch selbst mit externen Experten interne Prozesse und mögliche Ursachen für den Dammbruch. “Für TÜV Süd wäre es inakzeptabel, wenn Erklärungen entgegen besseren Wissens unterschrieben worden wären. Ein solches Verhalten würde gegen alle Regeln des Unternehmens sowie sein Selbstverständnis verstoßen.”

Nach ihrem Protest in München wollen die Brasilianerinnen nach Berlin weiterreisen. Dort sind nach ihren Angaben Gespräche mit Bundestagsabgeordneten und dem Auswärtigen Amt anberaumt.