Birkenstock, Shorts und T-Shirt, enges Kleid und High Heels: Die rund 1.000 Frauen, die an diesem warmen Sommerabend in den „Ocean Beach Club“ in Frankfurt am Main gekommen sind, eint weder Outfit noch Alter. Sie sind hier, um zu tanzen, und zwar am frühen Abend.
„Wenn es in den Clubs losgeht, bin ich doch schon todmüde“, erzählt Lisa lachend. Die 37-Jährige ist Mutter von vier Kindern. Sie will zwar tanzen, aber am nächsten Morgen auch aus dem Bett kommen. Die an diesem Abend vor der Kulisse des Flughafens organisierte Party der Reihe „Mama geht tanzen“ passt für sie: Start ist um 20.00 Uhr.
Davon gehört hat sie von ihrer Freundin Marie. Diese wiederum hat eine WhatsApp-Nachricht von ihrer Oma bekommen, mit einem Hinweis auf die Veranstaltung. „Meine Oma wollte mir damit sagen, dass ich mal wieder tanzen gehen soll“, sagt Marie. Die Oma ist 96 und laut Marie und Lisa „die Beste“.
Erfinderinnen von „Mama geht tanzen“ sind Anna Schumacher und Andrea Rücker. Die beiden Mütter aus Wuppertal haben Kindern im Alter zwischen neun Monaten und fünf Jahren. Im Herbst 2022 saßen sie zusammen, fühlten sich ausgepowert und hatten dennoch „plötzlich Lust, uns mal wieder wie früher den Stress von der Seele zu tanzen“, erzählt Anna Schumacher. Aber zum Stillen und ihrem Lebensrhythmus passten die Clubzeiten ab 24 Uhr nicht. Deshalb entschieden sie, selbst zu einer Party einzuladen, von 20 bis 23 Uhr.
Die erste Veranstaltung im Januar 2023 mit 270 Besucherinnen „war magisch“, erinnert sich Anna Schumacher. „Wir haben drei Stunden durchgetanzt.“ Inzwischen sind sie und ihre Freundin Andrea Rücker auch Geschäftspartnerinnen. Nachdem es schnell Anfragen gab, ob sie die Partys auch in andere Städte bringen, gründeten sie ein Franchise. Aktuell sind 32 Frauen Franchise-Nehmerinnen, die Partys in 115 Städten in Deutschland, Österreich und der Schweiz veranstalten. Anfragen aus Belgien und Spanien liegen vor. Die Eintrittspreise variieren zwischen etwa 12 und knapp 20 Euro, je nach Club und Stadt.
Anna Schumacher ist Sozialarbeiterin in einer Beratungsstelle der Caritas. Sie liebe ihren Job, sagt sie, dennoch sei sie nun auch Selbstständige. „Wir ermutigen auch die anderen Frauen, wirtschaftlich zu denken“, erklärt sie. Nur weil die Partys Spaß machten, müssten sie die Arbeit nicht umsonst machen.
Die Frankfurter Partys organisiert Marit Pahl. Sie hatte gerade ihr zweites Kind bekommen, als sie von der Wuppertaler Veranstaltung hörte. „Ich wollte auch tanzen und habe darauf gewartet, dass ich das auch in Frankfurt um 20 Uhr kann“, erzählt sie. Als nichts passierte, griff sie zum Hörer, telefonierte mit den Gründerinnen und legte los. 650 Frauen kamen im November 2023 zur ersten Party der Pilotin.
Inzwischen hat sie im Rhein-Main-Gebiet innerhalb weniger Monate mit einem kleinen Team 13 Partys veranstaltet. Auch sie erlebt die Stimmung als „sehr besonders“. Niemand wolle jemanden kennenlernen, alle wollten „einfach nur drei Stunden tanzen, ohne darauf zu achten, wie man wirkt“. Niemand befürchte, dass jemand was ins Getränk mische, die Handtaschen lägen schon mal auf einem Haufen. Ein paar Männer kommen auch, allerdings nur als Begleitung einer Frau.
Eine Revolution der Frauen aber ist „Mama geht tanzen“ nicht. Mütter, die ihre Ausgehzeiten auf die Familie abstimmen, stellten den von ihnen erwarteten Fokus auf die Kinder nicht infrage, meint die Soziologin Eva-Maria Schmidt. Sie arbeitet am österreichischen Institut für Familienforschung an der Universität Wien zum Mutterbild. „Sinn und Zweck des Mutterseins ist die fürsorgende Zentrierung auf das Kind“, nennt sie die „zentrale normative Erwartung an Mütter“.
Für die Studie „NorM – Normen rund um Mutterschaft“ hat sie gemeinsam mit Kolleginnen in Österreich 173 Menschen in Städten und auf dem Land befragt, Alte und Junge, Gebildete und weniger Gebildete in Gruppendiskussionen befragt. An oberster Stelle steht demnach das Glück des Kindes. Eine Mutter müsse bereit sein, dafür Opfer zu bringen, dürfe dennoch selbst nicht unglücklich sein, weil dies das Glück des Kindes stören könnte. Also erwarte man von der Mutter eine „fürsorgende Selbstfürsorge“, die letztlich dem Kind zugutekomme. Im Prinzip habe sich an der Erwartung an Mütter in Jahrzehnten nicht viel verändert, sagt Schmidt.