“Die Gretl findet den Freud nur grauslich – ein stinkender alter Mann, der von ihr anzügliche Sex-Geschichten hören will.” Diesen herrlich saloppen Satz, den man sich in wunderbarer österreichischer Klangfarbe vorzustellen hat, gibt hier Andreas Brunner von sich, Leiter des Wiener “Qwien”-Zentrums für schwul/lesbische Kultur und Geschichte.
Der erste Teil der Doku-Reihe “Verbotenes Begehren”, die Arte am Donnerstag, 18. Juli, von 20.15 bis 21.40 Uhr ausstrahlt, erzählt die Geschichte von “Margarethe und Leonie”. Die zarte, nie wirklich zur Entfaltung gekommene Liebesgeschichte zwischen Margarethe “Gretl” Csonka, Tochter aus reichem Wiener Hause, und der etwas verrufenen Baronin Leonie von Puttkammer, von der Zwischenkriegszeit in Wien bis zu einem letzten Wiedersehen in Berlin 1940.
Gretl muss zu Siegmund Freud
Als Gretls Eltern von der gleichgeschlechtlichen Neigung ihrer Tochter erfahren, schicken sie sie zu Sigmund Freud: Der berühmte Psychoanalytiker soll sie “wieder gesund machen”. Gretl aber führt ihn an der Nase herum, tischt ihm ausgedachte Träume auf. Als der Arzt dahinterkommt, beendet er die Behandlung – die ihm ohnehin nicht sinnvoll erschien, sah er bei Gretl doch keinen Leidensdruck. Dennoch verfasst er kurz darauf eine Schrift zu dem Fall.
Filmemacher Fritz Kalteis erzählt Csonkas Lebensgeschichte stellvertretend für die unzähligen Schicksale queerer Menschen Anfang des 20. Jahrhunderts und entwirft dabei ein lebendiges, vielschichtiges Bild schwul-lesbischen Lebens, Liebens und Leidens im Wien und Berlin der (Zwischen-)Kriegsjahre. Mit dem englischen Wort queer bezeichnen sich Menschen, die nicht heterosexuell sind oder deren geschlechtliche Identität nicht mit gesellschaftlichen Rollenbildern übereinstimmt.
In der Doku geht es um die Anfänge queeren Selbstbewusstseins, Verfolgung und gesellschaftliche Ächtung, aber auch das blühende Nachtleben im Berlin der 1920er Jahre oder Aktivisten wie den einflussreichen Sexualforscher Magnus Hirschfeld. Es ist ein kurzes Zeitfenster des Aufbruchs, die “Illusion von Freiheit” in den Jahren zwischen den Weltkriegen.
“Der Mann mit dem rosa Winkel” erzählt von Josef Kohout
Dann kommen die Nationalsozialisten an die Macht: Von der Verfolgung vor allem homosexueller Männer erzählt der zweite, direkt im Anschluss ausgestrahlte Teil der Reihe, “Der Mann mit dem rosa Winkel”. Es ist der ungleich heftigere Film: Darin geht es um das Schicksal des Josef Kohout, der fast sechs Jahre in Gestapo- und Lagerhaft verbrachte. Das Symbol an seiner Lagerkleidung, der “rosa Winkel”, stand für Homosexualität – was eine Position “ganz unten” im “komplizierten Geflecht aus Hierarchien und Abhängigkeiten” in den Konzentrationslagern bedeutete.
“Statistisch gesehen hatten schwule Männer die schlechtesten Überlebenschancen”, erklärt Historiker Robert M. Beachy. Frauen waren seltener betroffen beziehungsweise wurden offiziell eher wegen anderer “Delikte” als ihrer Homosexualität inhaftiert.
Beide Filme arbeiten mit der Verschränkung von Archivmaterial, Experten-Interviews, dokumentarischen Bildern und Reenactment-Szenen. Dass Letztere so stimmig geraten sind, liegt zuvorderst am frischen Spiel von Christina Cervenka als Gretl sowie der präzisen Darstellung Kohouts durch Stefan Gorski.
Dramaturgischer Kniff
Gut funktioniert auch der dramaturgische Kniff, Gretl direkt in die Kamera beziehungsweise zum Publikum sprechen zu lassen. Die Gesprächspartner wiederum – Historikerinnen, Publizisten und Kulturwissenschaftlerinnen – tragen viele interessante Aspekte bei. Trotzdem wäre hier etwas weniger, die Konzentration auf eine Handvoll Experten, wohl mehr gewesen.
Es sind nicht immer völlig neue, aber in ihrer genau recherchierten Detailliertheit dann doch häufig ungeheuerliche Erkenntnisse, die diese sehenswerte Doku-Reihe vermittelt – nachhaltig und mit Wucht: Von schmerzhaften, sinnlosen Geschlechtsoperationen etwa, einem zuweilen tief verinnerlichten Selbsthass der von Homophobie Betroffenen. Oder der bitteren Erkenntnis, dass für Homosexuelle “das Dritte Reich 1945 nicht zu Ende” war, sie weiter staatlicherseits verfolgt wurden: Wenn auch “minus KZ, und minus Entmannung”, wie “Qwien”-Kurator Hannes Sulzenbacher fast lakonisch anmerkt.
Erst 1969 wurde Homosexualität unter Erwachsenen in der BRD straffrei gestellt; die DDR tat diesen längst überfälligen Schritt ein Jahr zuvor.
“Verbotenes Begehren”. 2-teilige Doku-Reihe. Regie: Fritz Kalteis. Arte, Donnerstag, 18. Juli, 20.15 bis 21.40 Uhr. Mit Untertiteln für Hörgeschädigte.