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Aktueller Buchtipp

Legende der Wohltätigkeit von Amy Waldmann

Legende der Wohltätigkeit von Amy Waldmann

Die US-Autorin gibt Einblicke in die afghanische Realität

Von Erhard Wurst

Afghanistan kennen die meisten von uns nur aus den Nachrichten, von Schlagzeilen über Krieg, Anschläge und die Bundeswehr. In Amy Waldmans Roman erleben wir nun ein Stück dörflichen Alltags in diesem fernen Land. Die Studentin Parvin, geboren in Afghanistan und aufgewachsen in den USA, ist begeistert von der karitativen Aktion eines USamerikanischen Augenarztes. Dieser hat in Afghanistan einen Todesfall mitverschuldet. Danach sammelte er Spenden und baute in einem abgelegenen Ort eine Klinik, um die ärztliche Versorgung für Frauen – insbesondere während der Schwangerschaft – zu verbessern. Parvin fühlt sich ihrem Heimatland verbunden, spricht dessen Sprache und beschließt, eine Zeit lang in diesem Dorf zu leben und darüber eine wissenschaftliche Arbeit anzufertigen. Was sie vorfindet, ist eine spröde Herzlichkeit und nicht wirklich mehr als die Kulisse einer Klinik. Denn das Geburtshaus ist ein Fremdkörper in der kulturellen und religiösen Landschaft Afghanistans geblieben, eine Farce, hingesetzt und nicht zu Ende gedacht. Vielleicht ein Beispiel für alle unsensiblen Versuche, westliche Lebensart in ein eigenständiges und stolzes Volk einzupflanzen. Der eigentliche Skandal aber ist, dass die Legende einer uneigennützigen Wohltätigkeit gegen jedes bessere Wissen am Leben erhalten wird. Wann wird aus einer Nachricht eine Lüge? Im Gespräch mit Parvin zitiert ein USOffizier in diesem Zusammenhang das „Schiff des Theseus“ aus der griechischen Sagenwelt: Wann verwandelt sich etwas Echtes durch fortgesetzten Austausch von Einzelteilen in etwas völlig Neues? Einfühlsam und spannend geschrieben, gibt das Buch Einblick in die Geschichte Afghanistans, in das unübersichtliche soziale Gefüge, die verschiedenen Interessenlagen und den harten Alltag vor allem der Frauen. Das Vertrauen zwischen Parvin und ihren Gastgebern wächst langsam, aber nur so wird Veränderung wohl annehmbar. Am Ende wird auch die Frage aufgeworfen, was der Truppenabzug aus Afghanistan für die Menschen bedeutet, die als Dolmetscher und Ortskundige die landesfremde Militärmacht unterstützt haben. Wer – selbst mit hehren Absichten – in ein Land hineingeht, muss sich rechtzeitig überlegen, was er nach dem Rückzug hinterlässt. Zu einer wirklich hilfreichen Entwicklungshilfe gehört eben mehr als der gute Wille und ein schlechtes Gewissen.

Amy Waldman, Das ferne Feuer, Schöffling & Co. Verlagsbuchhandlung, Frankfurt am Main 2021, 496 Seiten , 26 Euro