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Zeichen gegen das Vergessen

Die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl jährt sich zum 30. Mal. Noch immer leiden Menschen unter den Folgen, aber es sind auch neue Partnerschaften entstanden

Der Verein „Heim-statt-Tschernobyl“ entstand fünf Jahre nach der Reaktorkatastrophe in der Ukra­ine, um Betroffenen eine neue Heimat zu bieten. Heute, 30 Jahre nach der Katastrophe, steht der Verein, der mittlerweile seinen Sitz in Holzgerlingen bei Stuttgart hat, vor einer tief greifenden Veränderung seiner Arbeit. Gerd-Matthias Hoeffchen sprach mit der Vereinsvorsitzenden Edeltraud Schill.

nn 30 Jahre sind vergangen. Spielt die Reaktor-Katastrophe überhaupt noch eine Rolle im Bewusstsein der Menschen?
Zumindest junge Leute wissen oft gar nichts mehr damit anzufangen. Und das sowohl in Weißrussland, wie auch hier in Deutschland. Umso wichtiger ist es, Zeichen zu setzen und gegen das Vergessen anzukämpfen.

nn Wie kann das gelingen?
Mit unserer Arbeit versuchen wir es. Allein der Name unseres Vereines „Heim-statt-Tschernobyl“ hält die Erinnerung wach. Deshalb halten wir an dem Namen fest, auch wenn es immer wieder mal Bestrebungen gab, ihn zu ändern. Gerade in Weißrussland.

nn Was sind die Herausforderungen für den Verein in den nächsten Jahren?
Unsere Arbeit wird sich verändern. Wir werden in diesem Jahr das 59. Wohnhaus fertigstellen. Damit ist das Umsiedlerprojekt abgeschlossen. Unsere Partner in Weißrussland sind mittlerweile so weit, dass sie weitgehend in eigener Regie die Errichtung einer vierten Windkraftanlage betreiben. Das ist umso wichtiger, als der weißrussische Staat den Bau eines Kernkraftwerkes plant – nur 40 Kilometer von Drushnaja entfernt.

nn Das ist absurd.
Das ist es. Unsere Windkraftanlagen sind dagegen ein symbolisches Zeichen, aber auch der Beweis, dass man Strom umweltverträglich gewinnen kann. Als neue Aufgabe kommt für uns die Arbeit für und mit behinderten Menschen dazu. Die steckt in Weißrussland erst in den Anfängen. Vor anderthalb Jahren hat unser Verein den Sozialamtsleiter der Kreisbehörde nach Deutschland eingeladen. Dort konnte er sich ansehen, wie Menschen mit Behinderungen nicht nur betreut werden, sondern sinnvolle und erfüllende Arbeit leisten können. Firmen – etwa Daimler-Benz – geben ja durchaus Aufträge an solche Werkstätten. Auch der Betrieb von Cafés durch Menschen mit Behinderungen hat sich hierzulande ja etabliert. Diese Anregungen scheinen in Weißrussland zurzeit auf fruchtbaren Boden zu fallen. Dort wollen wir helfen.

nn Ein Ziel Ihres Vereines war es auch immer, zu Verständigung und Versöhnung der Völker beizutragen.
Dieses Ziel setzen wir uns nach wie vor, bei allen Aufgaben. Unsere Arbeit ist inzwischen in einem Buch sehr schön dokumentiert worden (siehe unten). Übrigens werden wir auch in diesem Sommer noch einmal zwei Baucamps für Freiwillige in Weißrussland durchführen: vom 15. Juli bis zum 4. August in Drushnaja und vom 5. bis zum 25. August in Stari Lepel. Einige Plätze sind noch frei – einfach bei mir melden: Telefon (0 70 31) 41 42 69.

n Melanie Arndt, Margarethe Steinhausen: Wir mussten völlig neu anfangen. Opfer der Tschernobyl-Katastrophe berichten, Luther-Verlag, 160 Seiten, 12,95 Euro. Bestellbar zum Beispiel unter Telefon (05 21) 94 40-0.

Vor 30 Jahren, am 26. April 1986, barst der Reaktor Tschernobyl in der Ukraine. Die Katastrophe bedeutete eine Zäsur in der öffentlichen Wahrnehmung von Kernenergie: Menschen starben, die Umgebung war verstrahlt, der radioaktive Niederschlag zog sich über halb Europa.
Bereits fünf Jahre später startete „Heim-statt-Tschernobyl“. Der Verein mit Sitz im ostwestfälischen Bünde begann unter Federführung von Pastor Dietrich von Bodelschwingh und seiner Frau Irmgard, Familien aus dem weißrussischen Grenzgebiet umzusiedeln. Denn dort zeigte sich die Verstrahlung besonders stark. Im Dorf Drush­naja entstanden neue Häuser, zum großen Teil gebaut in gemeinsamer Arbeit von Umsiedler und freiwilligen Helferinnen und Helfern aus Deutschland. Auch UK-Leser waren dabei. Daneben hatte sich der Verein zum Ziel gesetzt, ein unübersehbares Zeichen gegen Kernenergie zu setzen: Mit Spenden von UK-Lesern entstand eine Windkraftanlage.