Helm herunter, ein letztes “Glück auf”: Wenn das Bergwerk schließt, fällt mehr als ein Job weg. Eine Doku begleitet fünf sehr unterschiedliche Bergleute, die mit dem Ende des Steinkohle-Bergbaus klarkommen müssen.
Noch eine letzte Seilfahrt hinunter in den Schacht. Ein letztes Mal setzen “Locke” und “Langer”, wie Wolfgang und Marco einander nennen, die Grubenhelme auf. Einmal noch geht es im Förderkorb in die Tiefe. Danach reiben sie sich unter der Dusche gegenseitig den schwarzen Kohlenstaub von der Haut. Die beiden sind “Kumpel” im doppelten Wortsinn. Seit vielen Jahren treffen sie sich vor der Schicht auf einem Parkplatz, um gemeinsam zur Zeche zu fahren. Als sie nun das letzte Mal das Bergwerk verlassen, rät Langer seinem Freund fast beiläufig: “Nicht umdrehen!”
Für Thomas, der als ewiger Junggeselle in einer kleinen Wohnung bei seiner Mutter lebt, bildete die geflieste Kaue im Bergwerk, in der er Kleidung und Schutzausrüstung an Besuchsgruppen verteilte, zugleich das Zentrum seines sozialen Lebens. “Du schaffst das auch ohne Zeche”, machen die Kollegen ihm Mut. Ein letztes Mal sucht er Bergwerksschuhe in der passenden Größe heraus, weist den Besuchenden eine Kabine zu. Ein letztes “Glück auf!”.
Etwa eine Dreiviertelstunde läuft – am 28. April ab 00.25 Uhr im ZDF – der Dokumentarfilm von Christian Johannes Koch und Jonas Matauschek bereits, ehe der Titel “Wir waren Kumpel” eingeblendet wird und mit seiner Vergangenheitsform eine Zäsur markiert. In der zweiten Hälfte richten die Filmemacher den Blick nach vorn und begleiten die fünf Protagonistinnen und Protagonisten in ihrem neuen Alltag. Neben Thomas, Locke und Langer sind das noch Martina und Kiri.
Martina fuhr einst als Bergmann unter Tage, ehe sie sich entschloss, so nicht weiterleben zu wollen – und zur einzigen Frau im deutschen Steinkohlebergbau wurde. “Keine Ahnung”, sagt sie, wie ihr Leben verlaufen wäre, wenn sie den Schritt, als Frau zu leben, schon früher gewagt hätte. Vielleicht besser, freier; bestimmt aber in einem anderen Beruf. Mittlerweile ist der Bergbau jedoch ein Teil von ihr geworden – neue Arbeit hat sie in einem Salzbergwerk. In ihrer Freizeit absolviert sie eine Stimmtherapie, um weiblicher zu klingen.
Kiri floh als Jugendlicher vor dem Bürgerkrieg in Sri Lanka und fand im Bergbau in Deutschland eine neue Heimat. In 20 Jahren habe er nur drei Mal nach Sri Lanka telefoniert: “Das sagt schon alles.” Mit der Schließung der Zeche aber bricht das soziale Netzwerk des zweifachen Vaters zusammen. Als er dann noch einen Herzinfarkt erleidet, steht er vor den Scherben seiner Existenz; seine Jugend in Sri Lanka, die er all die Jahre verdrängt hat, “kommt wieder hoch”. Mit einem Mal fühlt er sich fremd in Deutschland, stellt seine Identität in Frage und überlegt, ob er seinen Kindern seine alte Heimat in Sri Lanka zeigen soll, weil er von dort kommt. Oder ob das für sie vielleicht gar keine Rolle spielt.
Thomas scheint nach dem Ende des Bergbaus kaum noch aus der Wohnung zu kommen. Unter den liebevoll prüfenden Blicken seiner Mutter wischt er Regale ab oder bereitet das Essen zu, das sie in ihren Sesseln genüsslich verzehren. Wenn es ihm drinnen zu eng wird, zieht er sich zum Rauchen auf den Balkon zurück oder ruft einen Kumpel an, meistens vergeblich. Als er einen Kochkurs besucht, wagt er einen ersten vorsichtigen Schritt in ein neues Leben.
Dem “Langen” scheint der Übergang hingegen leichtzufallen. Im Gegensatz zu “Locke”, der sich zum Leidwesen seiner pubertierenden Tochter keine Arbeit sucht, hat er als Schulbusfahrer schnell eine neue und erfüllende Tätigkeit gefunden. Die Vorstellung, dass die Kinder ihn brauchen, gibt ihm Halt. Eher widerwillig lässt er sich von Locke zu einem Ferientrip mit dem Wohnmobil an den französischen Atlantik überreden. Als die Straße zwischen einem Kohlenmeiler und Windrädern hindurchführt, scherzt er über den symbolischen Anblick: rechts die Vergangenheit und links die Zukunft.
Vielleicht sind es Momente wie dieser, an die Koch und Matauschek denken, wenn sie in ihrem “Regie-Statement” erklären, dass sie mit den Akteurinnen und Akteuren in “einen Reflexionsprozess treten” wollten, “der erst durch das Ende ihres Arbeitsverhältnisses im Steinkohlebergbau möglich” wurde. Ebenso engagiert wie ambitioniert dozieren sie in diesem essayartigen Statement von Mythen einer Männerwelt oder der “Emanzipation von Rollenbildern”, wobei sie in einen akademisch-belehrenden Duktus verfallen, von dem im Film glücklicherweise kaum etwas zu spüren ist.
Stattdessen verschwinden die Filmemacher scheinbar vollkommen hinter der Kamera. Kommentarlos lassen sie ihre Figuren für sich sprechen, begleiten sie wie die “Fliege an der Wand” im Badezimmer, am Familientisch, im Wohnmobil. Deren Auswahl dürfte alles andere als repräsentativ für Steinkohle-Bergleute sein. Aber gerade das macht den Reiz des Films aus, der nie den Eindruck erweckt, exemplarisch sein zu wollen, sondern sich damit begnügt, die einzigartigen Lebensgeschichten der fünf so unterschiedlichen Charaktere zu beleuchten.
So entsteht eine außergewöhnliche, intime Nähe, die den Rahmen des Dokumentarischen sprengt. Wie die allgegenwärtige Kamera und die anwesende Crew das Verhalten der Mitwirkenden vor der Kamera beeinflussen, wird innerhalb des Films nie thematisiert. Im Presseheft allerdings heißt es dazu: “Durch den fortlaufenden Austausch über den unscharfen Begriff des ‘Dokumentarischen’ mussten wir unsere Arbeitsweise und Haltung gegenüber Termini wie ‘Wahrheit’ und ‘Wirklichkeit’ immer wieder abgleichen.”