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Wolfgang Thierse zu Katholikentag, AfD und Ukraine-Krieg

Der Katholikentag findet in einer Zeit statt, die “so hart ist wie nie”. Das meint der frühere Bundestagspräsident und Katholik Thierse. Er freut sich auf zugewandte statt feindselige Debatten in Erfurt.

In Zeiten multipler Krisen bietet der Katholikentag für den früheren Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse (80) immer auch einen Moment des Innehaltens. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erklärt der ostdeutsche SPD-Politiker, warum es sich für ihn ausschließt, Christ und Fremdenfeind zu sein, und warum er das Friedens-Motto des Treffens, das am Mittwoch in Erfurt beginnt, für eine “wagemutige Herausforderung” hält.

KNA: Herr Thierse, mit welchem Gefühl fahren Sie zum Katholikentag angesichts der Kriege und des wachsenden Rechtsextremismus in Deutschland?

Thierse: Katholikentage sind für mich immer Momente zum Innehalten und Auftanken. Das will ich nicht so verstanden wissen, dass wir Christen auf solchen Veranstaltungen eine Insel der Seligen bilden, aber es gibt dort eine freundliche, zuhörbereite Atmosphäre. Wir reden natürlich auch über Konflikte, aber sind beim Diskutieren zugewandt. Es gibt das Bewusstsein, dass Probleme nur gemeinsam lösbar sind und dass es eine Bereitschaft geben muss, Kompromisse zu schließen. Das erlebe ich leider derzeit im politischen und sozialen Alltag häufig anders. Er ist oft gekennzeichnet durch eine feindselige Stimmung.

KNA: Welches Signal sollte vom Katholikentag ausgehen?

Thierse: Wir alle blicken mit Sorge auf die anstehenden Wahlen, die Umfrageergebnisse sind beunruhigend. Da ist es gut und sinnvoll, dass die Kirche sich zeigt und sich nicht ängstlich zurückzieht. Wir tun dort eigentlich das Selbstverständliche: Wir diskutieren und feiern miteinander. Ob das eine Wirkung auf mögliche AfD-Wähler hat, kann man nicht wissen. Aber es ist gut zu zeigen, dass wir Christen da sind, dass wir eben keine Gemeinschaft von Pessimisten sind und nicht mit Wut auf Probleme reagieren. Wenn das auch nach außen wirkt, wäre das ein gutes Zeichen.

KNA: Die Bischöfe haben sich vor kurzem deutlich gegenüber der AfD positioniert und die Partei für Christen als nicht wählbar erklärt. Eine Positionierung zur richtigen Zeit?

Thierse: Ich habe dieses Zeichen im Vorfeld der Wahlen mit großer Zustimmung wahrgenommen. Das, was die AfD vertritt, ist mit dem Christentum und dem christlichen Menschenbild nicht vereinbar. Da hat die Kirche geradezu die Verpflichtung etwas zu sagen, insofern handelt es sich dabei auch nicht um eine parteipolitische Aussage. Die Kirche ist da ganz bei sich. Wie dass arbeitsrechtlich zu regeln ist, falls Mitarbeiter in einem Bistum oder bei der Caritas Mitglied der Partei sind oder dort sogar ein Amt ausüben, muss im Zweifelsfall das Gericht klären.

Auch der AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah sollte wissen: Man kann nicht zugleich Katholik und Fremdenfeind sein. Demokratie-Ablehnung, Fremdenhass und Minderheiten-Feindlichkeit – das steht im Widerspruch zu christlichen Grundüberzeugungen.

KNA: In Thüringen hat der dortige AfD-Fraktionsvorsitzende Höcke sich für einen anderen Wahlkreis entschieden, weil er sich nicht im katholischen Eichsfeld zur Wahl stellen wollte…

Thierse: Das spricht für das katholische Eichsfeld, dass er vor den Katholiken Angst hat und flüchtet. Mir hat das gut gefallen.

KNA: Das Motto des Katholikentags lautet: “Zukunft hat der Mensch des Friedens”. Wie kommt das bei Ihnen an?

Thierse: Das Bibelzitat ist eine wagemutige Herausforderung und zeugt bei den Verantwortlichen von einer geradezu prophetischen Voraussicht. Wir leben mitten in Zeiten von gleich mehreren und scheinbar unauflöslichen Kriegen. Kriege können nie eine Zukunft haben und zeigen immer eine zerstörerische Wirkung. Um aus kriegerischen Situationen wie der beim Angriffskrieg auf die Ukraine herauszukommen, brauchen wir alle politischen, moralischen und intellektuellen Kräfte.

KNA: Sie sind im vergangenen Jahr als Mitunterzeichner eines Friedensappells heftig kritisiert worden. Wie denken Sie rückblickend über den Appell zu möglichen Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen beim russischen Angriffskrieg auf die Ukraine?

Thierse: Meine Grundüberzeugung ist es, dass es bei aller notwendigen Solidarität mit der angegriffenen Ukraine, auch bei der notwendigen Solidarität mit dem überfallenen Israel, erlaubt sein muss, mitten im Krieg über den Krieg hinaus zu denken: Wie kommen wir da wieder heraus, wie schaffen wir eine Friedensordnung – solche Fragen müssen möglich sein. Auch bei dem so bedrückenden Nahost-Konflikt ist es wichtig, endlich eine dauerhafte Lösung zu finden.

KNA: Sie waren schon bei sehr vielen Katholikentagen. Ordnen Sie das Treffen in Zeiten multipler Krisen als einen der politischsten ein?

Thierse: Katholikentag sind immer auch politisch und das ist auch vernünftig. Schließlich lebt die Kirche mitten in der Welt. Wenn sich Christen nicht einmischen, machen sie sich überflüssig. Manchmal aber scheint die Aktualität drängender und manchmal gibt es vergleichsweise idyllische Zeiten. Die gegenwärtige Situation ist so hart wie nie: Es gibt die Kriege, die Gleichzeitigkeit von Krisen, die Migration, die Pluralisierung der Gesellschaft, die Digitalisierung, die künstliche Intelligenz und dazu die drohende ökologische Katastrophe. Ich beneide die aktiven Politiker nicht. Viele Menschen sind verunsichert und leider auch bereit, Populisten zu glauben.

KNA: Der Katholikentag findet in einem östlichen Bundesland statt. Es werden viele Menschen aus den westlichen Bundeslandern kommen. Eine Chance?

Thierse: Es wäre eine schöne Begleiterscheinung, wenn dabei auch das ein oder andere Vorurteil abgebaut würde. Zudem ist Erfurt eine wunderschöne Stadt. Schade nur, dass in den kirchlichen Gemeinden vergleichsweise wenig Werbung für das Christentreffen gemacht wurde.