Artikel teilen:

Woher kommt eigentlich unsere Zeitrechnung?

Ein Mönch erfand die christliche Zeitrechnung, sein System verbreitete sich über die ganze Welt. Es hat bis heute Bestand – trotz zeitweiliger Änderungen.

astronomische Turmuhr in Bern/Schweiz
astronomische Turmuhr in Bern/SchweizImago / Imagebroker

Nicht immer galt die Geburt Jesu als Ausgangspunkt für die Berechnung der Zeit. Die Zählungen unterschieden sich, bis der Mönch Dionysius Exiguus vor 1500 Jahren damit begann, eine neue Liste der Ostertermine zu erstellen. Unsere Jahresangaben zählen von einem Punkt aus, der mitten in der Geschichte liegt. Von diesem aus zählen wir vorwärts und, im Blick auf Ereignisse, die vor diesem Punkt liegen, rückwärts. Soll dieser Punkt verschwiegen werden, ist von „vor unserer Zeitrechnung“ und „nach unserer Zeitrechnung“ die Rede. Was aber ist„unsere“ Zeitrechnung? Sie nimmt Bezug auf die Geburt von Jesus Christus. Und so ist die Bezeichnung „vor Christus“ oder „nach Christus“ beziehungsweise „vor Christi Geburt“ oder „nach Christi Geburt“ die eigentlich zutreffende.

Herodes war Grundlage der Berechnung

Eingeführt hat diese Zählung der Mönch Dionysius Exiguus (um 470 bis um 540) vor 1500 Jahren. Das geschah damals im Zusammenhang der Berechnung der Ostertermine. Die vorige Übersicht war abgelaufen. So erarbeitete Dionysius 525 eine neue. Beim Nachrechnen der für die Ermittlung der Ostertermine großen Mond- und Sonnenzyklen stellte Dionysius eine Verbindung zu den Regierungsjahren des Königs Herodes fest. Gegen Ende seiner Herrschaft in der damaligen römischen Provinz Palästina wurde Jesus geboren. Dessen ungefähres Geburtsdatum machte Dionysius nun zum neuen Ausgangspunkt der Osterberechnung.

Bis dahin war als Ausgangspunkt der Jahreszählung für die Osterterminberechnung der Beginn der Herrschaft des römischen Kaisers Diokletian (284-305) gewählt worden, unter dessen Regierung die Christen verfolgt wurden. Deshalb bemerkte Dionysius in der Einleitung zu seiner Ostertafel, „wollten wir unseren Zyklus nicht mit der Erinnerung an diesen Gottlosen und Christenverfolger verbinden, sondern haben es vorgezogen, zu Beginn die Zeit nach Jahren seit der Geburt unseres Herrn Jesus Christus zu notieren, damit der Anfang unserer Hoffnung uns vertrauter werde und die Ursache der Wiederherstellung der Menschheit, nämlich das Leiden unseres Erlösers, klarer hervortrete“.

vergoldete antike Uhr mit Ewigem Kalender und Mondphase
vergoldete antike Uhr mit Ewigem Kalender und MondphaseImago / Zoonar

So trat an die Stelle der Diokletianischen Ära die sogenannte „Inkarnationsära“. Die komplizierte Berechnung des Osterdatums, das – abhängig von Mond- und Sonnenzyklen – auf 35 verschiedene Daten zwischen dem 22. März und dem 25. April fallen kann, wurde fortan nicht mehr wie zuvor an den Regierungsjahren römischer Kaiser orientiert, sie stand nun unter christlichem Vorzeichen. Zunächst beanspruchten die Christen als gefährdete, verachtete Minderheit nicht, den üblichen Zeitrechnungen nach Kaiser- oder Konsulatsjahren, nach Olympiaden oder gerechnet von der Gründung Roms an eine eigene entgegenzusetzen. Sie bezogen sich auf die jüdische Zählung vom Beginn der Welt an.

Christus als Herr über Raum und Zeit

Allerdings galt ihnen Christus als Herr über Raum und Zeit. Das stand dem Absolutheitsanspruch irdischer Herrscher entgegen, wie das Glaubenszeugnis der frühchristlichen Märtyrer der Kaiserverehrung. In den Protokollen ihres Leidens, den Märtyrerakten, wurde zur Datierung erstmals neben den Zählungen nach den Jahren der Kaiser und Konsuln Bezug genommen auf die Herrschaft Jesu Christi. So heißt es etwa: „Der selige Polykarp erlitt den Martertod am Zweiten des Monats Xanthikus, am 23. Februar, an einem großen Sabbat, um die achte Stunde unter dem Oberpriester Philipps von Tralles, unter dem Prokonsulat des Statius Quadratus, unter der ewig währenden Herrschaft unseres Herrn Jesus Christus.“

Der Todestage der Märtyrer wurde in den Gemeinden gedacht. Die Christen schufen sich so ihre eigene Jahresgestaltung, geprägt durch Heiligentage, Sonntage und die großen Herrenfeste, allen voran das Osterfest. Da sie sich bezüglich des Termins aus der Anlehnung an das jüdische Pessachfest lösten und sich an der Frühjahrstagundnachtgleiche orientierten, wurde Ostern eine Zeitlang in den Gemeinden an verschiedenen Tagen gefeiert. Dem machte das Konzil von Nizäa unter Kaiser Konstantin im Jahr 325 ein Ende. Es legte Ostern auf den ersten Sonntag nach dem Frühlingsvollmond fest. Die Berechnung des jeweiligen Termins sollte in Alexandria erfolgen, weil die dortige Wissenschaft als die am besten geeignete für mathematisch-astronomische Berechnungen galt.

Sonnenuhr Kloster Andechs (Bayern)
Sonnenuhr Kloster Andechs (Bayern)Imago / H. Tschanz-Hofmann

Mit dem Bezug auf die Herrschaft ihres Herrn Jesus Christus in den Märtyrerakten hatten die Christen noch keine eigene Zeitrechnung ins Leben gerufen. Erst die Fixierung des Ostertermins vollzog hierfür den entscheidenden Schritt. Dionysius Exiguus vollendete dann den Ansatz, indem er die Einordnung des Ostertermins in kaiserliche Regierungszeiten aufgab und die Jahre fortan nach der Geburt Christi rechnete. Er schuf damit eine „Weltzeit“, die an die Stelle der vielen vorigen Zeitangaben treten konnte.

Neue Einteilung setzte sich nur langsam durch

Sie setzte sich erst allmählich durch. Der erste, der neben der Zeitangabe „im Jahre des Herrn“ oder „nach Christi Geburt“ auch die rückwärtige Zählung „vor Christus“ verwendete, war im siebten Jahrhundert der Benediktiner Beda Venerabilis in seiner „Kirchengeschichte des englischen Volkes“. Er hatte so das Weltgeschehen mit Hilfe der christlichen Zeitrechnung geordnet und beschrieben. Außer dieser bestanden weiterhin Zählungen nach der Gründung Roms, nach Olympiaden und Steuerzyklen, nach Herrscher- und Papstjahren. Manche davon hielten sich noch Jahrhunderte. Aber die Rechnung nach der Menschwerdung Gottes setzte sich daneben immer mehr durch. Und mit ihr das Bedürfnis, Welt und Geschichte in diesem Schema zu erfassen. So in den Weltchroniken des hohen Mittelalters, die immer größere Zeiträume auch vor der Geburt Christi in den Blick nahmen.

Kampfansage durch Französische Revolution

Ausgerechnet zur Zeit der Aufklärung hatte sich die christliche Zeitrechnung durchgesetzt. In dieser Zeit erfuhr sie durch die Französische Revolution eine harte Kampfansage. Ihre Akteure ersetzten sie durch die Revolutionsära: Die Monate hatten alle dreißig Tage. Statt der Siebentagewoche gab es eine Zehntage-Einheit. An die Stelle des Sonntags trat der Décadi, der Zehntag.
Zwölf Jahre währte die Revolutionsära in Frankreich, von 1793 bis 1805. Versuche, die christliche Zeitrechnung abzuschaffen, gab es danach im nationalsozialistischen Deutschland, in Italien unter Mussolini und in Sowjetrussland. Sie alle waren nicht von langer Dauer. Seitdem bleibt sie weltweit in Anwendung.

Ihre Abschaffung wäre ein schwerer Verlust. Für die Christen, aber vermutlich auch für die übrige Welt. Denn sie stellt eine für Verkehr, Handel, Technik, Geschichtsschreibung und Medien verbindliche Welt-Chronologie bereit.