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Was Ostern mit Mathe zu tun hat

Kirchenjahr Findet Ostern in diesem Jahr zum falschen Termin statt? Warum im Jahr 2019 die bewährte Faustregel zur Bestimmung des Osterdatums nicht gilt – und warum das so selten vorkommt wie eine totale Sonnenfinsternis

Eigentlich ist die Berechnung des Ostertermins kein Buch mit sieben Siegeln. Die einschlägige Faustregel ist leicht zu merken: „Ostern ist am ersten Sonntag nach dem ersten Vollmond (am Tag oder) nach der Frühjahrstagundnachtgleiche.“ Danach müsste Ostern in diesem Jahr am 24. März liegen.
Aber ein Blick in der Kalender macht stutzig: Ostern findet am 21. April statt. Also nach dem Vollmond am Karfreitag (19. April) – aber auch nach einem weiteren Vollmond zuvor, am 21. März! Auch der liegt eindeutig nach der Frühjahrstagundnachtgleiche (20. März). Die Sache erscheint paradox. Und so heißt auch das Kalender-Phänomen, das vielleicht nicht so spektakulär, aber ebenso selten ist wie eine Sonnenfinsternis: Osterparadoxie. Dass die Frühlingsvollmond-Faustregel nicht gilt, war zuletzt 1962 der Fall. Die nächste Osterparadoxie gibt es erst wieder im Jahr 2038.

Osterdatum als höchste Form der Mathematik

Was steckt dahinter? Bei der Bestimmung des Ostertermins müssen viele Faktoren berücksichtigt werden; vor der Erfindung des Computers war das äußerst schwierig. Im Mittelalter arbeitete sich die Mathematik im Dienst der Kirche fast ausschließlich am „Computus paschalis“ ab, der Berechnung des Osterdatums also. Erst dem mathematischen Genie Carl Friedrich Gauß (1777-1855) gelang es im Jahr 1800, das Problem in einen komplexen, aber übersichtlichen Satz algebraischer Formeln zu verpacken.

Es ist auch wirklich einiges unter einen Hut zu bringen: Ausgangspunkt der Osterberechnung ist der Frühlingsbeginn, der von der Sonne bestimmt wird. Daran schließt sich die Vollmondfrage an. Die kalendarische Verknüpfung von Sonne und Mond erinnert daran, dass Ostern seine Wurzeln im jüdischen Pessachfest hat: Das Judentum folgt einem sogenannten Lunisolarkalender, einem an die Jahreszeiten des Sonnenjahrs gebundenen Mondkalender. Auf dem Konzil von Nicäa im Jahr 325 koppelte die Christenheit ihr höchstes Fest vom jüdischen Pessachfest ab, um Ostern künftig immer an einem Sonntag zu feiern.

Wenn Tag und Nacht erstmals im Jahr genau gleich lang sind – beim ersten sogenannten Äquinoktium – beginnt der Frühling. Für die Astronomen lässt sich dieser Zeitpunkt sekundengenau bestimmen. Dieser „Frühlingspunkt“ ereignet sich, je nachdem, wo auf der Welt man sich befindet, am 20. oder 21. März, nahe der Datumsgrenze auch am 19. März. Im Jahr 2019 findet er am 20. März um 22.58 Uhr MEZ statt.

Nur folgt leider das christliche Osterdatumswesen zur Bestimmung von Frühlingsbeginn und Vollmondterminen nicht astronomischen Berechnungen. Über die Frage, ob man den Frühlingsanfang an ein fixes Kalenderdatum knüpfen solle oder doch lieber an astronomische Beobachtungen, wurde weiterhin kräftig gestritten – vor allem zwischen Rom und Alexandria, den Zentren früher christlicher Gelehrsamkeit.

Am Ende setzte sich der „Computus der Alexandriner und Äthiopier“ durch. Eine bedeutende Rolle spielte dabei der römische Abt Dionysius Exiguus. 525 hatte er vom damaligen Papst Johannes I. den Auftrag erhalten, neue „Ostertafeln“ mit langfristigen Berechnungen des Ostertermins für die Zeit ab 532 zu erstellen. Die alten Tafeln reichten nämlich nur bis zum Jahr 531.

Für seinen Blick in die Osterzukunft griff Dionysius auf den in Alexandria verwendeten „Meton-Zyklus“ zurück, benannt nach einem griechischen Astronomen aus dem 5. Jahrhundert. Was Meton und vor ihm schon die Babylonier wussten: Alle 19 Sonnenjahre wiederholt sich das Datum der Mondphasen im Kalender. Das liegt daran, dass 235 Mondmonate fast ganz genau 6940 Tage oder 19 Jahre dauern. Fast ganz genau – aber dazu später. Der Zyklus wurde mit Zahlen von 1 bis 19 durchnummeriert – die sogenannten Goldenen Zahlen.

Gegen diesen 19-Jahreszyklus verschiebt sich noch die Abfolge der Wochentage. Das ist wichtig, denn gesucht wird fürs Osterfest ja ein Sonntag. Die christlichen Ostermathematiker vergaben deshalb „Sonntagsbuchstaben“. Sie ordneten den Tagen des Jahres der Reihe nach die ersten sieben Buchstaben A bis G zu, also dem 1. Januar das A, dem 2. Januar das B und so fort. Mit dem 7. Januar beim G angekommen folgte am 8. Januar wieder das A. Sonntagsbuchstabe war dann der Buchstabe, der für den jeweiligen Sonntag galt. Weil 52 mal 7 nur 364 ergibt, verschiebt sich der Sonntagsbuchstabe Jahr für Jahr um eins rückwärts.

Schaltjahre werden mit einem Doppelbuchstaben gekennzeichnet, lassen die Zählung also springen. Wegen dieser alle vier Jahre auftretenden „Störung“ durch den Schalttag ergibt sich ein Sonntagsbuchstaben-Zyklus von 7 mal 4, also 28 Jahren.
Kombiniert man nun beide Zyklen – den 19-jährigen Mond-Sonnen-Zyklus und den 28-jährigen Sonntagsbuchstaben-Zyklus –, ergibt sich der große Osterzyklus: Alle 19 x 28 = 532 Jahre wiederholt sich die Abfolge der Osterdaten.

235 Mondmonate sind aber 0,31135 Tage länger als 19 Jahre. Der Kalender geht deshalb nach etwa 755 Mondmonaten (rund 61 Kalenderjahren) gegenüber den Mondperioden um einen Tag vor. Nach dem Vorbild des christlichen Ägyptens legte Dionysius Exiguus zudem fest: Frühlingsbeginn ist stets am 21. März um 0 Uhr. Wie schon gesehen, weicht diese Setzung aber ebenso von den astronomischen Gegebenheiten ab, wie die Annahme einer gleichmäßig kreisförmigen Umlaufbahn des Mondes. Dazu kommt ein weiteres Problem: Das Sonnenjahr ist um knapp sechs Stunden länger als die dem Julianischen Kalender zugrunde gelegten 365 Tage. Um diese Ungenauigkeit auszugleichen, ließ Papst Gregor XIII. im 16. Jahrhundert eine komplexe Kalenderreform durchführen. Sichtbarste Auswirkung: Im Oktober 1582 wurden zehn Tage gestrichen, der 21. März und der astronomische Frühlingsbeginn rückten wieder nah zusammen.

Einfach gesagt, ist der Osterzyklus also das kleinste gemeinsame Vielfache der Rhythmen von Sonne und Mond. Kommen dazu jedoch noch die Tage und Kalenderdaten, kann dieses kleinste gemeinsame Vielfache ganz schön lange dauern: Durch die in den gregorianischen Kalender eingebauten Anpassungen und Korrekturen wiederholt sich die Abfolge der Ostertermine nur noch alle 5,7 Millionen Jahre.

Weil die astronomischen Konstellationen derartig kompliziert sind, hat sich das Christentum seit Dionysius Exiguus gewissermaßen von der astronomischen Beobachtung verabschiedet und vertraut stattdessen auf Berechnungen. Das ist verständlich, schließlich ging es ja darum, das Osterdatum für die Zukunft vorauszubestimmen. Auch wenn die Kalenderkalkulationen seit dem 16. Jahrhundert ziemlich genau sind, stimmen der „astronomische Vollmond“ und der berechnete „kirchliche Vollmond“ dennoch nicht hundertprozentig überein. In seltenen Fällen – wie im Jahr 2019 – kann es dazu kommen, dass sich beide widersprechen: Der „zyklische Kirchenvollmond“ fällt auf den 20. März. Er gilt noch als Wintervollmond, weil nach der kirchlichen Rechnung der Frühling erst am 21. März um 0 Uhr beginnt. Der astronomische Vollmond wenige Stunden später, nämlich genau um 2:42 Uhr am 21. März, spielt dagegen ebenso wenig eine Rolle für die Osterberechnung wie der Umstand, dass der astronomische Frühlingsanfang 2019 auf den 20. März fällt. Deshalb wird Ostern am 21. April gefeiert.