Im Deutschen Technikmuseum in Berlin wird er aufbewahrt: dieser Brief, den der im pommerschen Anklam aufgewachsene Erfinder Otto Lilienthal um 1894 an den Sozialreformer Moritz von Egidy schrieb. „Ich habe mir die Beschaffung eines Kulturelementes zur Lebensaufgabe gemacht, welches Länder verbindend und Völker versöhnend wirken soll“, erklärt Lilienthal darin – in Anspielung auf die Flugapparate, die er seit Schülerzeiten zusammen mit seinem Bruder Gustav entwirft, immer elaborierter. Es waren, so weiß man heute, die weltweit ersten Apparate, die den Menschenflug möglich machten, als Gleitflug, ohne Motor.
Flugzeuge würden den ewigen Frieden bringen, glaubte Lilienthal
Wenn Menschen fliegen könnten, würden die Staaten aufhören, sich zu bekriegen, glaubte Lilienthal: „Die Grenzen der Länder würden ihre Bedeutung verlieren, weil sie sich nicht mehr absperren lassen“, schreibt er an Egidy. „Die Unterschiede der Sprachen würden mit der zunehmenden Beweglichkeit der Menschen sich verwischen. Die Landesverteidigung, weil zur Unmöglichkeit geworden, würde aufhören, die besten Kräfte der Staaten zu verschlingen.“ Das alles, so seine Vision, „würde uns den ewigen Frieden verschaffen.“
Fliegen ermöglichen und Frieden schaffen – „für die Lilienthalbrüder war typisch, dass sie bei ihren Erfindungen nicht nur den technischen Fortschritt im Blick hatten“, erklärt Peter Busse, der Leiter des Lilienthalmuseums Anklam. 25 patentierte Erfindungen brachten sie im Laufe ihres Lebens hervor, darunter explosionssichere Dampfkessel, Spielzeug mit pädagogischem Anspruch, preiswert zu bauende Fertigteile für Obdachlosenheime… „Für sie war eine Erfindung nur dann etwas wert, wenn sie sozialen Benefit brachte“, erklärt Busse. Was mit ihren Flugstudien später passierte, „war so gar nicht in ihrem Sinne.“
Die Brüder Wright boten ihre Erkenntnisse dem Militär an
1903, nur sieben Jahre, nachdem Otto Lilienthal bei einem seiner tausenden Übungsflüge am Rande von Berlin verunglückt war, unternahmen die Brüder Wrigth in den USA den ersten motorisierten Flug der Welt, basierend auf den Studien Lilienthals und anderer. Dann boten sie ihre Erkenntisse dem Militär an. „Ihnen war klar, dass das Flugzeug den Krieg revolutionieren könnte“, erklärt Peter Busse.
1943 kehrte der Traum vom Fliegen als Alptraum nach Anklam zurück, fielen die ersten Fliegerbomben auf die Stadt. Lilienthals Taufkirche, die Nikolaikirche am Markt, wurde am letzten Kriegstag 1945 schwer getroffen. Heute entsteht in eben dieser Ruine das Ikareum, das voraussichtlich 2027 das bisherige etwas abgelegene Lilienthalmuseum ablösen und ganz neu an die Lilienthalbrüder erinnern will: als Menschen, die vom Fliegen träumten. Und vom Frieden.