WhatsApp, Facebook & Co. sind längst auch in der älteren Generation angekommen. Mit Beginn der Pandemie wurden Smartphone und Tablet oft zur einzigen Möglichkeit, regelmäßig in Kontakt zu Freunden und zur Familie zu bleiben.
„Das würde ich mir auch wünschen, dass ich für andere zum Engel werden kann“, sagt Marianne Holländer mit einem Lächeln auf den Lippen, als sie das erste Mal an diesem viel zu grauen Samstagmorgen auf ihr Handy schaut. „Gott, erinnere mich immer wieder daran, dass ich für andere zum Engel werden kann. Lass mich meine Flügel entdecken.“ So lautet das Morgengebet, das sie soeben von ihrer Frauenkreisgruppe über den Instant-Messaging-Dienst WhatsApp erhalten hat.
Das Morgengebet kommt auf das Handy
Zehn Antworten gibt es auf das Gebet bereits. Ihre leicht verrutschte Brille drückt sie sanft wieder etwas näher vor die Augen, um sie trotz der kleinen Schrift auf dem Bildschirm gut lesen zu können. Vor anderthalb Jahren hätte sie nicht gedacht, dass ihr das virtuelle Beisammensein über WhatsApp mit den anderen einmal so viel bedeuten könnte. Doch seit Beginn der Corona-Pandemie ist WhatsApp für sie zu einem wichtigen Ort des Austauschs geworden. „In der Zeit, in der so gar nichts lief, da habe ich das richtig genossen!“, erzählt sie.
Mittlerweile gehört der Blick aufs Smartphone vor dem Frühstück für die 78-Jährige ganz natürlich zum Start in den Tag dazu, ebenso wie ihr halbes Brötchen mit Frischkäse und Käse. Schon seit sechs Jahren ist sie eine von 30 Frauen im Alter von 50-90 Jahren aus dem evangelischen Frauenkreis Steinfurt-Borghorst, die sich regelmäßig Mittwochnachmittags um 15 Uhr im Gemeindezentrum zum Kaffeetrinken treffen. Dabei geht es um mehr als nur ein nettes Plauschen bei Kaffee und Kuchen. Es wird gemeinsam gebastelt, gespielt, über Kunst, Kultur und Religion philosophiert oder auch mal leidenschaftlich über politische Themen diskutiert.
Die Grundlage bieten dafür meist Vorträge von geladenen Gästen oder auch Impulse vom Leitungsteam um Anne-Grete Boltz, Andrea Stapel und Elisabeth Bilke. Beispielsweise stand häufiger das Thema Klimaschutz auf dem Plan, Ausflüge führten die Gruppe auf einen Alpaka-Hof oder in die Unesco-Welterbestadt Quedlinburg.
„Das Schöne daran ist, dass wir immer etwas sehen oder hören, von dem wir vorher noch gar nichts wussten. Und natürlich das Gemeinsame. Jeder ist dort für den anderen da“, beschreibt Marianne Holländer ihre Motivation, regelmäßig an den Treffen teilzunehmen. Der Glaube bilde den Rahmen für das Zusammensein, sodass die kurze Andacht zu Anfang für sie genauso wichtig sei wie das Abschlussgebet oder das Schlusslied. Die Gleichberechtigung von Austausch, Information und Religion liegt der Leiterin Anne-Grete Boltz besonders am Herzen: „Man kann das Ziel der Gruppe im Doppelgebot der Liebe zusammenfassen. Sowohl das Gesellschaftliche als auch das Umeinander-Kümmern.“ Durch den persönlichen Austausch untereinander möchte der Frauenkreis seine Mitglieder ermutigen, sich sozial im Rahmen der Kirche zu engagieren.
Die Kommunikation hat sich verändert
Das Auftauchen des Coronavirus Anfang 2020 veränderte aber wie für viele andere auch für den Frauenkreis alles. Fast alle Mitglieder gehörten aufgrund ihres Alters und Vorerkrankungen zur Risikogruppe. Die von der Politik verhängten Kontaktbeschränkungen und Abstandsgebote verhinderten von März 2020 an persönliche Treffen im Gemeindezentrum.
Eine Zeit begann, an die Marianne Holländer heute nur noch ungern zurückdenkt. Ihr Glaube und kleine Zeichen der evangelischen Kirche zur Solidarität miteinander, wie das regelmäßige Läuten der Glocken oder das Anzünden einer Kerze, haben ihr geholfen, die Einschränkungen zu akzeptieren. Und dann ist da noch eine WhatsApp-Gruppe, die plötzlich ungeahnte Nähe zu anderen Mitgliedern aus dem Frauenkreis aufbaut.
Ursprünglich als Kommunikationsmittel zur Organisation der persönlichen Treffen fürs Leitungsteam gegründet, habe sich die Gruppe über die Jahre vergrößert. Mittlerweile gehören ihr 17 Teilnehmerinnen an, von denen sich die meisten aktiv an den Gesprächen beteiligen. Wie viel sie den Frauen bedeute, zeige sich in einer gewissen Schreibroutine, die sich etabliert habe, so Boltz. Fest dazu gehöre jeden Tag ein Morgengebet und abends ein Segen oder ein Bibelspruch, den sie regelmäßig einbringe. Dazwischen lassen die Mitglieder einander immer wieder an ihrem Alltag teilhaben, was besonders in Corona-Zeiten vielen ein Gefühl von Gemeinschaft vermittelt hat.
Außerdem habe die WhatsApp-Gruppe die Gespräche über den Glauben verstärkt. Eine Tatsache, die Marianne Holländer als enorme Bereicherung für sich selbst versteht: „Vorher hat man an den Andachten teilgenommen, aber es war wie so vieles: Manche Dinge sind schön, die nimmt man so hin. Ich glaube nicht, dass da groß darüber nachgedacht wurde. Das ist jetzt mit Sicherheit anders! Man weiß das alles mehr zu schätzen.“
Genauso wie die Auseinandersetzung mit dem Glauben habe sich der Zusammenhalt untereinander verstärkt, wie das Leitungsteam beobachtet. Es sei eine große Offenheit entstanden, die dazu geführt habe, dass man viel mehr über den Einzelnen erfahren habe als bei den persönlichen Treffen.
Besonders spürbar war für Marianne Holländer dieser Zusammenhalt, als ihre Schwester im letzten Jahr plötzlich verstarb. Über WhatsApp teilte sie ihre Trauer und ihren Schmerz in der Gruppe mit den anderen Frauen. Zurück bekam sie jede Menge Nachrichten mit liebevoller Anteilnahme von den anderen, die ihr Kraft verliehen haben. Für sie eine überwältigende Erfahrung, die sie ohne Corona wahrscheinlich nicht gemacht hätte.
Auch Trauer und Schmerz teilen
Das Leitungsteam der evangelischen Frauenhilfe in Borghorst ist sich sicher, die Fürsorge füreinander und das gestärkte Gemeinschaftsgefühl wird nach dem Ende der Corona-Pandemie nicht verschwinden. Ganz im Gegenteil, wie Elisabeth Bilke beschreibt: „Jeder von uns hat jemand anderen auf dem Schirm, wo er denkt: Da muss ich mich mal bemerkbar machen, ob telefonisch oder persönlich.“
Wie ein Engel Gottes, der anderen in der Not hilft. Nur virtuell über WhatsApp organisiert.