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Wer hilft Berliner Obdachlosen?

In kalten Nächten drohen Obdachlose zu erfrieren. Gleichzeitig fühlten sich die Anwohner des Berliner Tiergartens durch ein Zelt-lager von Wohnungslosen bedroht, sodass es geräumt wurde. Die Berliner Stadtmission will diesen Menschen helfen. Doch die Freiwilligen sind selbst überfordert. Monika Herrmann berichtet.

In kalten Nächten drohen Obdachlose zu erfrieren. Gleichzeitig fühlten sich die Anwohner des Berliner Tiergartens durch ein Zeltlager von Wohnungslosen bedroht, sodass es geräumt wurde. Die Berliner Stadtmission will diesen Menschen helfen. Doch die Freiwilligen sind selbst überfordert.

Von Monika Herrmann

Es wird von Jahr zu Jahr schlimmer. Die Zahl der obdachlosen Menschen, die in diesem Winter mit einem Schlafplatz versorgt werden sollen, ist so hoch wie nie zuvor. „Tausend Plätze in den Notübernachtungen der Kältehilfe werden bei weitem nicht ausreichen“, sagt Barbara Eschen, Direktorin des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Gerade organisiert sie, zusammen mit Caritas, dem Deutschen Roten Kreuz, der Berliner Stadtmission und etlichen Kirchengemeinden die sogenannte Kältehilfe für Menschen, die auf der Straße leben.Doch die Profi-Helfer wirken hilflos. Im Rahmen einer Pressekonferenz in der vergangenen Woche berichteten sie von den Problemen ihrer Arbeit. Das Dilemma: Ab November stehen zunächst nur 689 Notübernachtungsplätze zur Verfügung, das sind durchschnittlich etwa 240 weniger als in der vergangenen Wintersaison – bei einer steigenden Zahl von Wohnungslosen. „Wir brauchen Wohnungen statt Unterkünfte“, sagt Eschen. Dennoch sind Notquartiere im Winter lebensrettend und deshalb begehrt. Daher sollen bis Ende des Jahres insgesamt 1000 Plätze zur Verfügung stehen.So auch für den 56-jährigen Polen, der aus Zielona Gora, dem ehemaligen Grünberg, stammt. Seit zehn Jahren lebt er in Berlin. „Ich bin sehr krank und Alkoholiker, ich kann nicht mehr laufen, ich bin am Ende“, erzählt er. Tagsüber sitze er in seinem Rollstuhl in der U-Bahn-Station Hansaplatz. Er freue sich, wenn ihm jemand ein paar Cent oder eine Banane schenke oder überhaupt mal mit ihm rede. Am Abend werde er dann von einem Freund abgeholt und zu einem Ort gebracht, wo er sich auf Pappen legen und schlafen kann. Morgens werde er wieder in den U-Bahn-Eingang gefahren. Die Männer, die ihm helfen, wissen nichts von der Kältehilfe. Dabei helfen die Freiwilligen auch nachts. Sie holen Obdachlose von dort, wo sie gerade sind, ab und verteilen Stullen und heißen Tee.

Ein junger Mann, der aus Rumänien stammt, erzählt, dass er seit vielen Jahren in Berlin auf der Straße lebt und nicht mehr glaubt, dass die deutschen Sozialarbeiter wirklich helfen können. „Aber wir dürfen hier wenigstens betteln, Flaschen sammeln und es gibt an vielen Orten Essen, neue Klamotten und eine Dusche. In Rumänien geht das nicht.“ Er kennt die Kältehilfe, hält aber gar nichts von den Schlafplätzen. „Da wird geklaut, da gehe ich nicht hin.“Auch die Organisatoren der Kältehilfe wissen, dass sie eigentlich nicht wirklich etwas an der Situation der Betroffenen ändern können. „Wir verwalten das Elend, mehr nicht“, sagt ein Helfer aus der Wärmestube „Warmer Otto“, einer traditionellen Tageseinrichtung in Berlin-Moabit, die seit 40 Jahren existiert. Deshalb verlangt Ulrike Kostka, Direktorin des Caritas-Verbandes, Konsequenzen. Der Berliner Senat und die Bundesregierung sollten endlich auf die wachsende Zahl der Wohnungs- und Obdachlosen reagieren. „Das Problem muss im Kanzleramt ankommen“, sagt sie und kritisiert, dass bei den gegenwärtigen Koalitionsgesprächen über die steigende Zahl der Wohnungslosen nicht geredet werde.Die Helfer werben für mehr Verständnis für Menschen, die auf der Straße leben, die in der U-Bahn betteln, stinken und teilweise aggressiv reagieren, wenn sie Ablehnung beim Rest der Bevölkerung spüren. Es ist eine Parallelgesellschaft, die sichtbar wird an Orten wie dem Zeltlager im Tiergarten. Dort campierten über Wochen hinweg rund 40 Obdachlose. Für Nachbarn im nahen Hansaviertel und Spaziergänger war das Anlass für Aufregung: über den Müll, die Bettelei oder die laute Musik. „Die Penner müssen verschwinden“, hieß es.Der zuständige Bürgermeister Stephan von Dassel (Bündnis 90/Die Grünen) reagierte prompt. Er ließ das Zeltlager räumen, Ordnungsamt und Polizei rückten an. Weder die Anwohner noch die beiden Kirchen aus der Nachbarschaft machten ihre Türen für die Vertriebenen auf. Es ist unklar, wo sie jetzt sind. Eine junge Frau, die am Hansaplatz wohnt, zeigt sich zufrieden. Sie könne jetzt endlich wieder mit ihren Kindern in den Park. Ein älterer Mann erklärt, dass er die Obdachlosen als Bedrohung empfindet.Ulrich Neugebauer von der Berliner Stadtmission kennt solche Sprüche. Sein Appell: Statt Hass und Ausgrenzung solle man Großzügigkeit und Wärme denen gegenüber zeigen, die ganz unten sind. „Unser Wunsch ist es, dass eine tolerante Berliner Gesellschaft zeigt, dass obdachlose Menschen ein Teil der Berliner Stadtgemeinschaft sind.“ Der kommende Winter wird zeigen, ob das gelingt.[lt]

Wer hilflose Obdachlose sieht, kann den Kältebus der Stadtmission anfordern: (0178) 5235838