Wenn Menschen einander kennenlernen, können Mauern einstürzen. Das gehört zu den eigenartigsten Grunderfahrungen des menschlichen Lebens.
Persönlicher Kontakt kann Grenzen überwinden, die zuvor als unüberwindbar galten. Wenn zwei Menschen sich begegnen, einander in die Augen blicken. Die Hände schütteln. Miteinander reden, sich an einen Tisch setzen, gemeinsam essen und trinken. Dann kann etwas Wundervolles geschehen.
Das kann natürlich auch schiefgehen. Der Streit mit dem Nachbarn ist dafür ein Beispiel. Die tiefe Abneigung von Barack Obama und Wladimir Putin. Der Zwist zwischen Luther und Zwingli, ohne den sich die Reformation möglicherweise nicht in Lutherisch und Reformiert getrennt hätte.
Aber es kann auch funktionieren. Die „Strickjacken-Freundschaft“ zwischen dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl und dem sowjetischen Generalsekretär Michail Gorbatschow hat den Lauf der Welt verändert. Sie ebnete den Weg für den Fall der Mauer. Schon zuvor überwanden Deutschland und Frankreich ihre „Erbfeindschaft“. Durch Jugendaustausch – und dadurch, dass die beiden damaligen Staatenlenker, Helmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing, Respekt und Vertrauen füreinander entwickelt hatten.
Menschen müssen nicht in Trennung oder Ablehnung stecken bleiben. Unterschiede, selbst Gegensätze müssen nicht blockieren. Sie können weiterführen. Ronald Reagan und Margret Thatcher haben das vorgeführt. Luther und Melanchthon. John Lennon und Paul McCartney. Selbst Stan Laurel und Oliver Hardy als geniales Komiker-Pärchen „Dick und Doof“: Gerade, weil der oder die Andere so anders ist, konnten sie einander auf wundersame Weise ergänzen.
Bald ist Deutscher Evangelischer Kirchentag. Wenn sich zigtausende Protestantinnen und Protestanten vom 25. bis 28. Mai in Berlin und Wittenberg treffen, dann ist auch das eine Gelegenheit zu Begegnungen. „Du siehst mich“, lautet das Motto. Damit ist ursprünglich die Erfahrung der Magd Hagar aus der Bibel gemeint: Gott sieht mich, kümmert sich um mich.
Aber auch unter den Teilnehmenden gilt: Ich sehe dich – du siehst mich. Begegnung.
Über 2500 Veranstaltungen bieten dazu Gelegenheit. Die Schwerpunkte Flucht und Migration, Zusammenhalt in Deutschland und Europa, religiöse Pluralität und Reformation sind eine Riesen-Chance, Menschen kennenzulernen, Neuland zu entdecken.
Was für eine Chance die persönliche Begegnung bietet, sieht man derzeit in der Ökumene. Jenseits von Dogma und Lehre hat zwischen Evangelisch und Katholisch etwas zu sprießen angefangen. Noch zart. Aber es ist da. In Kirchengemeinden schon länger. Jetzt tut sich auch auf der Ebene von Kirchenleitungen Bemerkenswertes (Seiten 12 und 13).
Wenn Menschen einander kennenlernen, können Mauern einstürzen.
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Wenn Mauern stürzen
Es gibt so viel Trennendes zwischen den Menschen. Herkunft. Tradition. Vorurteile. Weltanschauung. Glaube. Was hilft? Manchmal würde es schon reichen, den Anderen kennenzulernen