An ihrer spitzen Mütze und ihren spitzen Schuhen kann man sie erkennen, an ihrem Fleiß oder auch an kleinen Streichen: Die Rede ist von Wichteln. In mehreren skandinavischen Ländern erfreuen sie sich insbesondere zur Weihnachtszeit großer Beliebtheit – in Dänemark als Nisse, in Schweden als Tomte und in Finnland als Tonttu. Auch hierzulande gibt es immer mehr Wichteltüren, durch die die kleinen koboldartigen Wesen im Spätherbst oder Advent in Wohnungen und Häuser einziehen. Sie helfen bei den Vorbereitungen für Weihnachten und machen sich durch Briefe an die Kinder des Hauses bemerkbar, durch Krümel vor der Wichteltür oder Adventsschmuck – zu sehen sind jedoch nie.
Seit den 70er Jahren schon gebe es hierzulande eine große Begeisterung für Skandinavien, so erklärt der Regensburger Kulturwissenschaftler Gunther Hirschfelder den Trend. Er erinnert zudem an das Wichteln, also den Austausch von kleinen Geschenken in der Vorweihnachtszeit vor allem in “halbprivaten” Zusammenhängen. “Dieses Ritual führt Menschen zusammen, und der Wunsch danach wird größer – nach der Corona-Pandemie und angesichts dessen, wie uns das Digitale überrollt.”
Manche Eltern fragen sich derweil, wie sie mit Zahnfee, Wichtel und andere Fantasiegestalten umgehen sollen. Wichtig sei, dass keine Erziehungsverantwortung an solche Figuren abgegeben werde, mahnt die Pädagogin Susanne Mierau auf dem Portal geborgen-wachsen.de. Wenn zum Nikolaustag mit der Rute gedroht werde, sei dies ein ungutes Druckmittel. Auf spielerische Weise aufgegriffen, könnten diese Figuren aber durchaus zu einem fantasievollen Miteinander beitragen.
“Tomte Tummetott” von Astrid Lindgren
Im Althochdeutschen stand das Wort “Wicht” für das Geschöpf überhaupt; “Wichtel” ist eine Verkleinerung davon. Im Gegensatz zu einem “armen Wicht” oder gar “Bösewicht” ist der Wichtel positiv besetzt – nicht zuletzt durch schwedische Kinderbuchgeschichten: “Die Wichtelkinder” von Elsa Beskow, “Das Geheimnis der Weihnachtswichtel” von Sven Nordqvist oder “Tomte Tummetott” von Astrid Lindgren. Auch Nils Holgersson wird im Roman von Selma Lagerlöf in einen Wichtel verwandelt.
Weniger bekannt sind die Spuren von Wichteln hierzulande: die Wichtellöcher im nordhessischen Dosenberg zum Beispiel oder die Wichtelhöhlen bei Bad Kissingen. Die Brüder Grimm haben drei thematisch passende Märchen unter dem Titel “Die Wichtelmänner” zusammengefasst. Und Figuren, die den Menschen nachts zu Hand gehen, dabei aber nie entdeckt werden dürfen – das erinnert auch an die Kölner Sage von den Heinzelmännchen.
Für Hirschfelder passt der Wichtel-Trend zu einer allgemeinen Entwicklung: “Die Menschen verlangen nach Komplexitätsreduktion.” So gebe es statt Schoko-Nikoläusen vermehrt Eisbären oder Pinguine zu kaufen – und ein Fest wie Pfingsten sei “kaum noch vermittelbar”.
Wichtel, Kobolde und Trolle sind mediale Allzweckwaffe
Wichtel und Zwerge, Kobolde und Trolle seien dagegen durch Fantasy-Romane, -Filme und -Spiele sehr präsent. “Von den sieben Zwergen im Märchen bis zu den Schlümpfen sind diese Figuren eine mediale Allzweckwaffe”, sagt der Kulturwissenschaftler. Sie stünden für eine “Welt von früher”, die es so tatsächlich nie gegeben habe, nach der sich jedoch viele Menschen sehnten: eine Welt, in der man albern sein könne und in der die Probleme der krisenhaften Realität weit weg seien.
Ob Wichteltür oder Wichteln in Verein und Kollegenkreis – beides hat nach Worten Hirschfelders “keine kulturelle Power”. Sprich: Beide Rituale kann man mitmachen oder auch nicht – und diese “niedrigschwellige Interaktion” gefalle vielen. Bräuche zeichneten sich dagegen dadurch aus, dass sie fest dazugehören zu einer Gruppe und zu einer bestimmten Zeit, dass sie regelmäßig wiederkehren und dass es sanktioniert wird, wenn jemand nicht teilnimmt.
Wie viele märchen- und zauberhafte Gestalten, so haben auch die Wichtel ihre Zeit. Zwar sind entsprechende Deko-Püppchen mitunter auch ganzjährig zu sehen; ebenso darf die Wichteltür in manchen Haushalten bleiben. Die Fabelwesen selbst ziehen jedoch wieder aus – direkt nach Weihnachten oder spätestens zum neuen Jahr. Manche, so ist zu hören, schicken aber Urlaubsgrüße und freuen sich auf den nächsten vorweihnachtlichen Besuch bei den Menschen.