Am 1. September ist der Weltfriedenstag. Zugleich jährt sich der Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen und damit der Beginn des Zweiten Weltkriegs zum 85. Mal. Seit fast 80 Jahren haben wir in Deutschland das Glück, in Frieden leben zu können. Gleichzeitig wächst seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine die Angst, dass auch wir in diesen Krieg hineingezogen werden könnten.
Ich kann diese Sorge verstehen. Es lässt sich nicht mehr übersehen, dass es sich bei Putins Russland um eine imperialistische Großmacht handelt, die über Leichen geht, um ihre alte Größe wiederzuerlangen. Russlands Armee bombardiert gezielt Kraftwerke, Krankenhäuser, Cafés und Schulen und schont auch das Leben der eigenen Soldaten nicht. Währenddessen spekulieren Putins Propagandisten im Staatsfernsehen über Atomraketen auf Berlin, London oder Paris. Angst ist eine Waffe in Putins Arsenal. Und er setzt sie ein, um andere von einer Unterstützung der Ukraine abzuhalten – auch wenn sich seine Drohungen gegen andere Gott sei Dank bisher regelmäßig als Bluff erwiesen haben.
Angst ist lebensnotwendig
Angst ist lebensnotwendig. Sie hilft uns, in bedrohlichen Situationen wachsam zu sein. Aber nicht immer entspricht die Stärke unserer Angst der Größe der Gefahr. Und manchmal ist sie ein schlechter Ratgeber, wenn sie uns davon abhält, einer Gefahr angemessen zu begegnen. Das gilt für viele Krisen dieser Welt. Im Falle Russlands bin ich überzeugt, dass die Kriegsgefahr für unser eigenes Land steigt, wenn Putin Erfolg hat – und dass sie sinkt, wenn er und andere Diktatoren begreifen, dass Überfälle auf Nachbarländer sich nicht lohnen.
All das kann man nüchtern und rational abwägen. Aber was hilft gegen Angst? Als vor zweieinhalb Jahren Tausende ukrainische Frauen und Kinder vor den russischen Bomben nach Berlin flohen, haben Jugendliche in unserer Gemeinde spontan Übernachtungsplätze organisiert. Das geschah an vielen Stellen im ganzen Land. Und es war das Beste, was wir tun konnten – nicht nur für die Menschen, die unsere Hilfe brauchten, sondern auch für uns selbst. Es hilft gegen die Angst, sich gemeinsam mit anderen zu engagieren und Leiden zu lindern. Und es gehört zu den schönsten Entschädigungen des Lebens, dass wir anderen nicht helfen können, ohne zugleich uns selbst zu helfen.
Sich von der Angst nicht lähmen lassen
Oft ist Angst Kopfkino. Dann hilft es, die Blickrichtung zu ändern und die Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu richten. „Alle Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch“, heißt es in der Bibel im 1. Petrusbrief. Auch die Zeiten, in denen die Texte des Neuen Testaments entstanden, waren alles andere als friedlich. Viele biblische Texte sind Texte von Traumatisierten für Traumatisierte.
Der Römische Friede (Periode des Römischen Reichs von circa 27 vor Christus bis 192/235 nach Christus – die Redaktion) bedeutete für die unterworfenen Völker am Rande des Imperiums Elend, Terror und Tod. Regelmäßig gab es in Israel bewaffnete Aufstände, die von der römischen Militärmacht jedes Mal blutig niedergeschlagen und bitter gerächt wurden. Und der jüdischrömische Krieg führte im Jahr 70 nach Christus nicht nur zur Zerstörung Israels und Jerusalems, sondern auch des zweiten jüdischen Tempels, von dem heute nur noch die Klagemauer steht. In diesem Klima der Angst und des Hasses proklamiert Jesus die anbrechende Königsherrschaft Gottes.
Gottes Wille soll nicht nur im Himmel, sondern auch auf der Erde geschehen. Er heilt vom Krieg Traumatisierte und Besessene. Er lehrt seine Freunde, sich nicht von der Angst lähmen zu lassen und Gott ganz zu vertrauen. Er bringt seinen Nachfolgern bei, ihren Feinden Gutes zu tun, für sie zu beten und sie zu segnen – und so aus Feinden Freunde zu machen. Und er erzählt Hoffnungsgeschichten, die bis heute ihre Wirkung nicht verloren haben: Mit Gottes neuer Welt und mit der Hoffnung auf Frieden ist es wie mit einem Senfkorn. Es ist das Kleinste unter den Samenkörnern, aber wenn es wächst, wird ein Baum daraus, in dem die Vögel des Himmels wohnen.
Jean-Otto Domanski ist Pfarrer der EKBO, Coach und Ausbilder für hypnosystemische Seelsorge