Einen Tag nach dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien hat Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) Geduld angemahnt. Viele syrische Flüchtlinge, die in Deutschland Schutz gefunden haben, hätten nun wieder eine Hoffnung auf eine Rückkehr in ihre Heimat, sagte die SPD-Politikerin am Montag in Berlin. Doch seien angesichts der unübersichtlichen Lage in Syrien „konkrete Rückkehrmöglichkeiten im Moment noch nicht vorhersehbar und es wäre unseriös, in einer so volatilen Lage darüber zu spekulieren“, sagte Faeser.
Die Innenministerin bestätigte, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) einen Entscheidungsstopp für aktuell noch laufende Asylverfahren verhängt habe, bis die Lage klarer sei. Einem „Spiegel“-Bericht (Montag) zufolge geht es um knapp 47.000 Asylanträge. Der stellvertretenden Sprecherin des Innenministeriums, Sonja Kock, zufolge leben knapp eine Million Syrerinnen und Syrer in Deutschland, die Mehrzahl als international anerkannte Flüchtlinge oder Bürgerkriegsflüchtlinge. Rechtlich sei es möglich, ihren Schutzstatus in Deutschland zu widerrufen. Doch dafür sei wesentlich, ob sich die Lage in Syrien dauerhaft geändert und stabilisiert habe.
In Deutschland hat unmittelbar nach dem Sturz des Regimes in Syrien eine Debatte über die Rückführung syrischer Flüchtlinge eingesetzt. Auch Politiker, Experten und Menschenrechtler meldeten sich zu Wort.
Der Sprecher des Außenministeriums, Sebastian Fischer, kündigte ein neues Lagebild für Syrien an, wenn man mehr über die Entwicklung sagen könne. Für Fragen des Asylrechts und Flüchtlingsschutzes sei entscheidend, ob künftige Entscheidungsträger den Schutz aller Minderheiten garantieren, sagte Fischer.
Für die Union forderte der parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Torsten Frei (CDU), das Bamf solle sich rasch auf die Überprüfung der den syrischen Flüchtlingen zugesprochenen Schutztitel vorbereiten. Wenn Syrien sich zu einem Land entwickle, in dem weder politische Verfolgung noch eine individuelle Gefahr drohe, müsste das Konsequenzen haben für die Anerkennungspraxis in Deutschland, sagte Frei der „Augsburger Allgemeinen“ (Dienstag).
Demgegenüber warnte der Europapolitiker der Grünen, Anton Hofreiter, davor, nach dem Sturz des Assad-Regimes syrische Flüchtlinge unter Druck zu setzen. „Überlegungen, nach dem Sturz von Assad unsere Migrationspolitik zu verändern und härter gegen syrische Geflüchtete vorzugehen, sind völlig fehl am Platz“, sagte der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Montag).
Ähnlich äußerte sich das Deutsche Institut für Menschenrechte. Direktorin Beate Rudolf sagte, die Debatte um die Rückkehr syrischer Flüchtlinge komme zu früh.
Die Politikwissenschaftlerin Bente Scheller sagte dem Radiosender WDR 5, die Zusicherung der islamistischen Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS), Minderheiten Schutz zu garantieren, reiche nicht aus. Minderheiten wie etwa Christen, Jesiden oder Alawiten müssten auch Rechte und Beteiligung garantiert werden, erklärte die Leiterin des Nahost-Referats der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung.
Dem Migrationsforscher Gerald Knaus zufolge könnte der Sturz des Assad-Regimes einen Wendepunkt für die Flüchtlingssituation in Europa herbeiführen. Höchste Priorität müsse es haben, zusammen mit den Nachbarländern für Stabilität zu sorgen, sagte Knaus dem Magazin „stern“. Wer eine sofortige Massenrückkehr nach Syrien verspreche, handele populistisch.
Vor dem Bürgerkrieg in Syrien, der 2011 mit einem Volksaufstand gegen das Regime von Machthaber Baschar al-Assad begonnen hatte, waren Hunderttausende Syrer nach Deutschland geflohen. Nach 13 Jahren Bürgerkrieg übernahm nun eine Rebellenkoalition unter Führung der Miliz Haiat Tahrir al-Scham (HTS) die Kontrolle über die Hauptstadt Damaskus. Der entmachtete Assad flüchtete nach Moskau, wo er Medienberichten zufolge laut Kreml politisches Asyl erhalten soll.