Manchmal sind es ganz unscheinbare Erfindungen, die eine Revolution auslösen. Für das Postwesen war es im 19. Jahrhundert eine Quittung zum Aufkleben.
Am 1. November 1849 wurden in Bayern die ersten deutschen Briefmarken verkauft. Was heute bestenfalls noch Historiker und enthusiastische Sammler elektrisiert, bedeutete vor 175 Jahren eine gewaltige Umwälzung für das Miteinander in der Gesellschaft.
Briefe wurden auch schon davor befördert. Aber zu welchem Preis? Diese Frage war in jedem Einzelfall eine komplizierte Rechenaufgabe. Nach dem Prinzip “Die Gebühr bezahlt der Empfänger” galt es bei der Zustellung anhand des Poststempels und einer Entfernungstabelle das jeweilige Porto zu ermitteln. Mit den Briefmarken geht die Zahlungspflicht auf den Absender über, ins Tarifwesen ziehen Pauschalen ein.
Diese Innovation lässt mit anderen Erfindungen wie der Eisenbahn das Postaufkommen explodieren. 1908 werden in Bayern mehr als 770 Millionen Briefe verschickt. Eine Steigerung um den Faktor 50 in gut 50 Jahren.
Bayerische Regierungschefs werden nicht müde zu betonen, in welchen Disziplinen der Freistaat alles Spitze sei. Dass man in diesem Falle, da in München noch ein echter Monarch herrschte, die Nase vorn hatte, war nicht abzusehen. Laut dem “Historischen Lexikon Bayerns” war die königlich-bayerische Post bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts wenig reformfreudig. Neuerungen wie Stadtbriefkästen oder auch den Eilpostwagen, der die Durchschnittsgeschwindigkeit auf sagenhafte 10 Stundenkilometer beschleunigte, führte sie später ein als andere deutsche Postverwaltungen.
Vorbehalte gab es auch gegen diese merkwürdige Erfindung eines Lehrers in England, wo 1840 die weltweit erste Briefmarke auf den Markt kam. Die aufgeklebten Gebührenzettel könnten sich bei der Beförderung der Briefe möglicherweise zu leicht wieder lösen, argwöhnt ein kritischer Bericht der Generalverwaltung der königlichen Posten an die bayerische Krone im März 1845. Weshalb für einige Jahre mit den Kollegen in Großbritannien erst noch korrespondiert werden musste über Erfahrungswerte, eingesetzte Techniken und Materialien.
Die ersten deutschen Postwertzeichen waren auf den Briefen “im oberen Ecke links durch Befeuchten des auf denselben befindlichen Klebstoffs gut zu befestigen” – und nicht wie heute üblich oben rechts. So hatte es Maximilian II. Josef von Bayern angeordnet.
Anders als in Großbritannien oder Frankreich ziert die ersten bayerischen Briefmarken kein Konterfei des Landesherrn. Francesco Cargnel mutmaßt in seinem neuen “Handbuch der bayerischen Ziffernmarken”, dass der König wegen der revolutionären Turbulenzen von 1848 darauf bewusst verzichtete. Und so fällt die bayerische Premiere mit Nennwerten zu einem, drei und sechs Kreuzern relativ schmucklos aus: gemustert zwar, aber nur mit einer Ziffer als Motiv.
Die Erstausgabe erfolgte am katholischen Hochfest Allerheiligen. Briefmarken, die an diesem Tag schon abgestempelt wurden, sind eine Rarität. Der Straubinger Sammler Peter Zollner hat nach eigenen Angaben in 50 Jahren 31 Stück registriert.
Ein kompletter Ersttagsbrief vom 1. November 1849, frankiert mit einem “Schwarzen Einser”, ist bisher erst einmal aufgetaucht. Er wurde am 27. September in Wiesbaden für 440.000 Euro versteigert. Eine stattliche Summe, aber vom Weltrekord weit entfernt. 2014 wechselte bei Sotheby’s in New York eine “Britisch-Guayana 1-Cent Magenta” von 1856 für sage und schreibe 9,48 Millionen Dollar den Besitzer. Sie soll die letzte ihrer Art sein.
Wer nun Opas Album aus dem Keller holt und für ein hübsches Sümmchen zu verscherbeln gedenkt, für den hat Zollner keine guten Nachrichten: Alles nach 1956 sei so gut wie wertlos. “Damit können Sie Ihre Wand tapezieren.”
Hat sein Hobby eine Zukunft? Bei der Frage wird der 72-Jährige wehmütig. Zur Jahrtausendwende habe der Bundesverband der Philatelisten noch rund 60.000 Mitglieder gezählt. Davon sei nicht einmal ein Drittel übrig. Die Jugend vertreibt sich ihre Zeit anderweitig.
Was aber macht die Post? Verringert die Filialen, bei denen Sondermarken vorrätig sind. Nur ein Bruchteil der eingeworfenen Briefe trägt noch eine Marke, und wenn, ist es meist eine bei Sammlern verpönte selbstklebende. Alles Anzeichen dafür, dass das Briefmarkenzeitalter auf sein Ende zusteuert.