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Von wegen Murmeltierführer

Mehr als 3600 Werke brachte Georg Philipp Telemann zu Papier. Der 250. Todestag des Komponisten gibt Anlass zu einem „Telemann-Jahr“

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Eine Markus-Passion war sein letzter Streich – den der Komponist im biblischen Alter von 86 Jahren allerdings nicht mehr selbst vollenden konnte. Doch auch so bleibt sein Erbe gewaltig. Bis zu seinem Tod am 25. Juni 1767 in Hamburg brachte Georg Philipp Telemann mehr als 3600 Werke zu Papier.
Im Laufe seines langen Lebens spannte der gebürtige Magdeburger den Bogen vom Barock bis zur frühen Klassik, pflegte freundschaftliche Kontakte zu Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel. Und galt trotz dieser starken Konkurrenz zu Lebzeiten als einer der Größten seines Fachs.
Doch im 19. Jahrhundert sank sein Stern. Kritiker warfen Telemann wahlweise Beliebigkeit oder einen Hang zu Kitsch und Schwulst vor. Interpreten und Publikum goutierten andere Weisen, die etwa das Klavier oder die Klarinette anstelle von Gambe und Traversflöte in Szene setzten. Seit einiger Zeit erlebt der barocke Großmeister eine Renaissance. Ein „Netzwerk der Telemannstädte“ hat zu seinem 250. Todestag ein ganzes Jubiläumsjahr ausgerufen. Zu Recht, findet „Telemann-Botschafterin“ Dorothee Oberlinger, eine der besten Blockflötistinnen der Welt.
Die Musikerin hält große Stücke auf das Oeuvre des von seinen Zeitgenossen hochverehrten „Notenhelden“. „Wir finden plötzlich eine französische Suite, eine italienische Arie und dann wieder ein deutsches Stück. Oder er bringt polnische Musik mit, die er selber gehört hat in den Kneipen von Krakau und lässt diese Themen in seine Kompositionen einfließen.“
Seine musikalische Karriere startete Telemann schon als Schüler, anfangs sehr zum Unwillen seiner Familie, die ihm vorhielt, er würde damit bestenfalls „Gauckler, Seiltäntzer, Spielmann, Murmelthierführer etc.“ werden.
Die besorgten Eltern verfrachteten den Filius nach Zellerfeld zu einem Studienfreund des Vaters, Caspar Calvör. Der, so meinten sie, würde den Jungen schon wieder in die richtige Spur bringen. Was Johanna Maria und Heinrich Telemann nicht wussten: Calvör war ein großer Freund der Musik – und förderte das Talent seines Zöglings, dem jede Menge muntere „Töngens“ im Kopf herumspukten, nach Kräften. Telemann perfektionierte sein Können und gelangte über Hildesheim, Leipzig, das heute westpolnische Sorau (Zary) und Eisenach zunächst nach Frankfurt am Main und schließlich nach Hamburg als „Director musices“.
Insgesamt 46 Jahre sollte er in der Hansestadt verbringen. Sein ohnehin schon recht üppiges Jahressalär von 4021 Hamburgischen Mark – das entsprach etwa dem Durchschnittsverdienst der vier Hamburger Bürgermeister – besserte er durch eigene verlegerische Tätigkeit auf. Zum Beispiel mit dem „Getreuen Musikmeister“. Eine ganz schön gewitzte Idee, wie Oberlinger findet. „Die eine Ausgabe endete mit einem Sonatensatz, und wenn man die ganze Sonate spielen wollte, musste man sich die nächste Ausgabe kaufen, fast wie im Groschenroman.“
Der geachtete Komponist, der mit einem Paris-Aufenthalt im Herbst 1737 endgültig seinen internationalen Durchbruch feierte, konnte das Geld gut brauchen. Seine spielsüchtige zweite Frau Maria Catharina Textor hatte er kurz zuvor aus dem Haus gejagt, wie sein Biograph Eckart Kleßmann schildert. „Ihr Mann musste 1736 fassungslos feststellen, dass sie 5000 Reichstaler (etwa 18 125 Hamburgische Mark) leichtsinnig verzockt hatte.“
Schicksalsschläge hatte Telemann bis dahin schon einige zu erdulden gehabt, darunter den frühen Tod seiner ersten Gattin Amalie Luise Juliane Eberlin 1711. Für sie verfasste er mit „Poetische Gedancken“ eine der „bedeutendsten Totenklagen in der Literatur des 18. Jahrhunderts“, so Kleßmann.
Allem Ungemach zum Trotz bewahrte der Musiker seinen Sinn für Humor – und das bis zuletzt, da sein Augenlicht mehr und mehr schwand. „Mit Dinte, deren Fluß zu stark, / Mit Federn, die nur pappicht Quark/ Bey blöden Augen, finsterm Wetter / Bey einer Lampe, schwach von Licht, / Verfasst‘ ich diese saubern Blätter. / Man schelte mich deswegen nicht!“, notierte er 1762 unter eine Matthäus-Passion.

Internet: http://www.telemann2017.eu/de/.

Eckart Kleßmann: Georg Phi­lipp Telemann, Ellert & Richter Verlag, 140 Seiten, 42 Abbildungen, 9,95 Euro.