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US-Raketen in Deutschland: Wo bleiben die Proteste?

US-Raketen sollen auf deutschem Boden stationiert werden. Eine demokratische Debatte lässt auf sich warten. Die vielen Krisen, von Klima bis Rechtsruck, scheinen Deutschland zu lähmen. Ein Kommentar.

Forderung nach Abrüstung auf einem Ostermarsch 2023: Wenn die Politik es nicht schafft, die Menschen bei notwendigen Entscheidungen mitzunehmen, kann das zu weitreichenden Wahlentscheidungen führen
Forderung nach Abrüstung auf einem Ostermarsch 2023: Wenn die Politik es nicht schafft, die Menschen bei notwendigen Entscheidungen mitzunehmen, kann das zu weitreichenden Wahlentscheidungen führenImago / aal.photo

Erstmals seit Ende des Kalten Krieges sollen wieder US-Raketen auf deutschem Boden stationiert werden. Eine breite demokratische Debatte darum lässt derzeit allerdings auf sich warten. Zurecht fordert deswegen jetzt auch die amtierende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Kirsten Fehrs, das Thema in den öffentlichen Diskurs einzubringen. Und das schleunigst und nicht erst Übermorgen.

Umfragen zufolge sind zwei von drei Bundesbürgerinnen und Bundesbürger gegen die geplante Aufrüstung im Westen Deutschlands. Genau wie in den 1970- und 1980-Jahren, wo sich ebenfalls gut zwei Drittel der Deutschen gegen den NATO-Doppelbeschluss stemmten, der im Vollzug zur Folge hatte, dass die USA mit Cruise-Missiles und Pershing II-Raketen Langstrecken-Atomwaffen zum militärische Lückenschluss in Europa stationierten.

Die vielen Krisen liegen wie ein lähmender Glibber über Deutschland

Damals gingen Hunderttausende friedlich auf die Straße. Proteste, die Westdeutschland in dieser Größenordnung bis dahin nicht kannte. Ein breites Bündnis aus allen Teilen der Bevölkerung, Kirchen, Parteien, Gewerkschaften und Generälen der Bundeswehr formierten sich zu einer gewichtigen Friedensbewegung. Fast wäre es ihnen gelungen, die Aufrüstungspläne zu stoppen. Die Umsetzung des Doppelbeschlusses riss dann tiefe demokratische Gräben in die Republik.

Und heute? Die vielen Krisen, von Klima bis Rechtsruck, scheinen sich wie ein lähmender Glibber über Deutschland zu legen. Für oder gegen was soll man eigentlich noch auf die Straße gehen? Wo sich für viele zudem der Eindruck aufdrängt, sowieso nichts bewirken zu können.

Vorsicht: Wladimir Putin ist nicht Michail Gorbatschow

Dass es jetzt wieder konventionelle Waffensystem auf deutschem Boden und zur Abschreckung der Russen geben soll, ist militärisch sicher folgerichtig. Putins imperialistischer Machthunger und sein Vorgehen gegenüber der Ukraine sind nicht hinnehmbar. Genau wie damals fühlt sich der Westen auch heute von Russland bedroht.

 

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Aber Vorsicht: Wladimir Putin ist nicht Michail Gorbatschow. Der heutige Kremelchef ist ein Hardliner wie aus dem Lehrbuch, der keine Kompromisse eingeht. Ganz anders als Gorbatschow, der damals zu Abrüstungsverhandlungen bereit war, die dann in den INF-Verträgen zwischen der Sowjetunion und den USA mündeten.

Die Regierung sollte keine Alleingänge machen

Ob die Zustimmung von Kanzler Scholz zu den NATO-Plänen richtig oder falsch ist, das muss jetzt öffentlich diskutiert und ausgehandelt werden. Denn: Der demokratische Graben in Deutschland tut sich auch an anderen Stellen auf und in der Summe kann eine Gesellschaft das kaum abfangen.

Die Regierung sei gut beraten, keine Alleingänge in diesem Zusammenhang zu machen und auch außerparlamentarische Mehrheiten hinter sich zu vereinen. Politischer Gegenwind ist ihr nämlich gewiss, allerdings nur an den extremen Rändern. Und das wird in kommenden Landtags- und Kommunalwahlen schonungslos quittiert werden.