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Untertauchmuseum lässt tief in die Nazi-Zeit blicken

Dieses Museum ist eine Schatzkiste. So anschaulich, dass wirklich jeder begreifen kann, was Krieg mit Menschen macht. Wie mutig man sich mitunter entscheiden muss. Und wie gut es ist, wenn Nachbarn in Frieden leben.

Mehrere von der Gestapo Gesuchte leben dauerhaft versteckt auf dem Dachboden – während die Familie so tut, als wäre nichts, und zwei Stockwerke tiefer der einquartierte nazideutsche Ortskommandant im Wohnzimmer seine Anweisungen gibt. Eine unrealistische Geschichte? Klingt so. Aber im niederländischen Grenzort Aalten hat sie sich in den Kriegsjahren genau so zugetragen. Am Originalschauplatz, am Markt 12, wird sie heute im Nationalen Untertauchmuseum (Nationaal Onderduikmuseum) eindrücklich erzählt. Ergreifend wie so viele Geschichten hier, die vom Überleben einer Gemeinschaft in unguten Zeiten handeln.

Im Achterhoek (niederländisch “hinterste Ecke”) in der Provinz Gelderland, unmittelbar an der Grenze zum heutigen Nordrhein-Westfalen, wurden im Zweiten Weltkrieg besonders viele untergetauchte Personen vor den deutschen Besatzern und der Polizei versteckt: Juden, politisch und rassisch Verfolgte, Widerständler oder vor der Zwangsarbeit Geflüchtete. In Aalten kamen auf 13.000 Einwohner etwa 2.500 Untergetauchte.

Das Haus Markt 12 zeigt, geradezu mit Händen greifbar, dass gerade schwierige Situationen Entscheidungen erfordern, jenseits von Herkunft, Anschauungen und Religion. Das Wohnhaus der Familie Kempink mit ihren zwei noch kleinen Kindern war tagsüber Sitz des deutschen Ortskommandanten. Zugleich war der Luftschutzkeller Zufluchtsort für die Nachbarschaft bei Bombenangriffen – und der Dachboden Versteck für jene, die vor den Nazis untertauchen mussten.

“Wir wollen hier nicht den Krieg zeigen – sondern wie Menschen im Krieg leben, welche Entscheidungen sie treffen müssen”, sagt Frouke Harmsen vom Untertauchmuseum der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA): Ob sie mit dem Feind mitgehen oder sich für Widerstand oder Flucht entscheiden. “Wir wollen die kleinen Geschichten zu den großen Themen erzählen – und damit die Besucher fragen: Was würdest du machen in der Lage?”

Die kleinen Geschichten – das sind aber auch ungewöhnliche Alltagsgegenstände: im Ersatzwohnzimmer der Familie Kempink – im eigentlichen saß ja der deutsche Kommandant – ein fest installiertes Fahrrad mit Lesepult, mit dessen Dynamo man bei Verdunkelung ein kleines Licht zum Lesen erzeugen konnte. In der Garderobe Kleidungsstücke von Untergetauchten, deren Schicksal auf einer zugehörigen Karte erzählt wird. Oder das Führer-Porträt an der Wand im Wohnzimmer, das über ein Gelenk verstellbar ist – und angeblich nach dem abendlichen Heimgang der Besatzer von der Familie zur Wand weggeklappt wurde.

Der größte der vielen Clous des Hauses folgt, wenn man die letzte Treppe erklommen hat – was die Kinder der Kempinks auf keinen Fall tun durften. Der Besucher landet vor einem Waschtisch mit Spiegel – und ahnt nicht, genauso wenig wie einst die Nazis – dass sich der Waschtisch komplett nach hinten wegdrücken lässt. Dahinter: der Dachboden mit einem Schreibtisch, verschiedenen Schreibmaschinen, einer Druckerei für Flugblätter – und, in der Schräge hinter Säcken versteckt, mehreren sehr kleinen Nischen mit Schlaflagern für die Untergetauchten. Möchte man so leben müssen?

Das Museum ist seit 2004 aktiv und stützt sich auf seine Mitglieder. Es gibt einen Trägerverein, nur wenige Festangestellte. Finanziell braucht es Subventionen; kommunale und von großen Forschungseinrichtungen. Die Besucher sind hauptsächlich aus den Niederlanden, berichtet Harmsen – aber auch immer mehr Englischsprachige. Besonders freut man sich hier über die vielen niederländischen, aber auch deutschen Schulklassen.

Schnell wurde das Haus zu klein, hatte zu viel im Depot und zu wenig in der Ausstellung. Nach und nach kamen die Nachbarhäuser 14 und 16 dazu; zuletzt wurde auch die Nummer 18 angekauft. Es entstand unter anderem ein Escape Room, der ganz unmittelbar vermittelt, was es heißt, seine Freiheit zu verlieren. Insgesamt wünscht sich Frouke Harmsen noch mehr Austausch. Schon länger gibt es Kontakte zur Uni Münster. Das Ziel ist ambitioniert: ein Forschungszentrum zum Thema Untertauchen, überregional über den Achterhoek hinaus und auch international. Der Ansatz ist allemal sehr vielversprechend.