Es ist ein 6.000-Einwohner-Dorf nahe Tübingen. Doch während in der Universitätsstadt die AfD bei der letzten Europawahl 4,6 Prozent der Stimmen bekam, waren es in Bodelshausen 19,6 Prozent. Eine Spurensuche vor Ort.
Es ist ein ordentliches württembergisches Dorf – doch mit einer Besonderheit: In Bodelshausen im Landkreis Tübingen ist die AfD bei der Europawahl im Juni 2024 zweitstärkste Partei geworden. Die in Teilen rechtsextreme Partei holte 19,6 Prozent der Stimmen, die CDU kam auf 30,4 Prozent, die SPD auf nur 13,3 Prozent, die Grünen auf 10,1 Prozent. Ganz anders als in der benachbarten Universitätsstadt Tübingen, wo etwa die Grünen 32,1 Prozent bekamen – und die AfD nur 4,6 Prozent.
Wer nach Bodelshausen kommt, sieht eine unterschiedliche Bebauung: alte Fachwerkhäuser, aber auch einige Villen – und ein schickes Neubaugebiet. Bodelshausen ist zudem weithin bekannt durch die Firma Speidel, die mit ihrer Strickerei seit mehr als 70 Jahren Damenwäsche produziert.
Dennoch: Es rumort in dem Ort, allerdings eher unter der Oberfläche. Charlotte Sander, seit 2018 evangelische Ortspfarrerin, sagt auf die Frage nach den Ursachen der AfD-Stärke: “eine gewisse Verdrossenheit”. Es gebe “das Gefühl vieler Menschen hier, zu kurz zu kommen”, erläutert Sander wenige Tage vor der Bundestagswahl im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Eigentlich sei das absurd. “Wir leben hier in Deutschland in einer unglaublich privilegierten Situation, uns geht es eigentlich supergut”, betont die 62-jährige Pfarrerin. Es gebe keinen Diktator, der die Menschen unterdrücke, wie in Russland oder bis vor kurzem in Syrien. Menschen müssten nicht wie in manchen afrikanischen Ländern fliehen, weil ihre Ernten der Dürre zum Opfer fallen oder brutale Milizen ihre Blutspur durch ein Land ziehen.
Dennoch: Dass nach Bodelshausen mehrere Hundert Flüchtlinge kommen sollten, hat im vergangenen Jahr den kleinen schwäbischen Ort aufgewühlt. Ursprünglich sollten in einem ehemaligen Firmengebäude – einem dunklen, quaderartigen Anwesen – bis zu 250 Geflüchtete aus der Ukraine und aus anderen Ländern vorübergehend Platz finden. Doch das Vorhaben des Landkreises Tübingen ist nach einer Gerichtsentscheidung inzwischen gestoppt.
Einer der Gründe dafür: Die verhinderte Flüchtlingsunterkunft grenzt an ein Neubaugebiet. Von Anwohnern habe es massiven Widerstand gegen das Projekt gegeben, berichtet der Sprecher des Unterstützerkreises für Flüchtlinge in Bodelshausen (UK), Alfons Haid. Inzwischen wird dezentral nach Wohnungen gesucht. “Die Gemeinde Bodelshausen und der Landkreis Tübingen suchen dringend Wohnraum für Geflüchtete”, heißt es auf der Internetseite der Kommune.
Haid (78), ein pensionierter Lehrer für Deutsch und Geschichte, sieht einen Hauptgrund für das Erstarken der AfD darin, dass viele Bodelshausener verunsichert seien. “Früher haben sich hier alle gekannt”, sagt Haid. Doch als dann Flüchtlinge kamen – aus der Ukraine, aber auch aus Afrika – habe sich etwas verändert. Man höre öfter den Satz: “Das ist nicht mehr mein Bodelshausen.” Obwohl der Ort nicht so wirkt, als werde er von Nicht-Bodelshausenern überrannt, gebe es eine “Angst vor Überfremdung”. Auf einem AfD-Wahlplakat im Ortszentrum heißt es: “Zeit für sichere Grenzen”.
Der Extremismusforscher Rolf Frankenberger sagte der KNA, gerade in Dörfern im Einzugsgebiet städtischer Zentren träfen Menschen, die eher weltoffen dächten, auf eine eher konservative alteingesessene Bevölkerung. “Diese unterschiedlichen Weltbilder werden von extrem rechten Politikern bewusst instrumentalisiert, um einen Konflikt zu schüren und Stimmen zu gewinnen”, so der wissenschaftliche Geschäftsführer des Instituts für Rechtsextremismusforschung an der Universität Tübingen. Die AfD verstehe es, den Begriff der Heimat zu politisieren.
Doch wie kann man vor Ort darauf reagieren? “Man muss dagegenhalten, auch wenn es manchmal mühsam ist”, sagt Pfarrerin Sander. Auf der Seite von Geflüchteten zu stehen, sei “auch biblisch geboten”. Es gelte, “Flagge zu zeigen”.
Apropos Flagge zeigen: In Bodelshausen weht an einigen Häusern die Flagge des “Königreichs Württemberg”, die auch von Reichsbürgern verwendet wird: eine schwarz-rote Fahne mit einem bekrönten Schild, gehalten von einem Löwen und einem Hirsch.