Innerhalb eines Tages bis ans andere Ende der Welt reisen – das Flugzeug macht es möglich. Das Gefühl für die Entfernung und die Kulturen, die man beim Fliegen in der Luft quasi überspringt, geht bei dieser Art des Reisens allerdings verloren. Klimaschädlich ist es auch. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) sprach in München mit dem Tourismusforscher Markus Pillmayer von der Hochschule München University of Applied Sciences über Billigflüge, fehlende Flugscham – und die Notwendigkeit eines veränderten Reisebewusstseins.
KNA: Herr Pillmayer, der Klimawandel ist in aller Munde. Trotzdem fliegen viele Deutsche so selbstverständlich in den Urlaub, als hätten sie davon noch nie etwas gehört. Woran liegt das?
Markus Pillmayer: Wir wollen zwar alles für uns in Anspruch nehmen, aber die Konsequenz möchten wir nicht tragen. Der Klimawandel tut uns allen furchtbar leid, aber wir ignorieren mitunter die Entwicklungen vor der eigenen Haustür. Die Flut im Ahrtal zum Beispiel tun wir nach dem Sankt-Florian-Prinzip ab in Richtung: ‘Na ja, zum Glück nicht bei mir.’ Diese Einstellung ist sehr naiv.
KNA: Flugscham ist also kein Thema mehr?
Pillmayer: Nein, das Thema Flugscham ist zur Zeit aus der Haltung zum Reisen an sich verschwunden. Man weiß zwar, dass Fliegen sehr klimaschädlich ist, aber das wird gern ausgeblendet und auch relativiert. Oder kompensiert, dass man sagt, ich fahre weniger Auto oder bleibe länger vor Ort.
KNA: Verzicht fällt den Deutschen offenbar schwer…
Pillmayer: Was heißt denn eigentlich Verzicht? Ich sage nicht, fahrt weniger in Urlaub. Aber man könnte doch eine der jährlichen Reisen im regionalen Umfeld machen. Und in Deutschland oder im europäischen Ausland den Zug oder bei weiteren Entfernungen den Nachtzug nehmen. Wenn es darum geht, etwa statt zwei Mal nur ein Mal im Jahr zu fliegen, bricht sich doch wirklich niemand einen Zacken aus der Krone. Es gibt genügend Alternativen zum Fliegen.
KNA: Woran liegt das, dass Flugverzicht für viele keine Rolle spielt?
Pillmayer: Etwa am nach wie vor günstigen Preis, auch wenn die Flugpreise gestiegen sind. Und das Thema Reisen ist den Deutschen nach wie vor sehr wichtig. Darauf möchten sie nicht verzichten und dazu gehört, dass sie mindestens einmal im Jahr eine Fernreise machen können. Viele der deutschen Reisenden sind da nicht bereit, eine Veränderung in Kauf zu nehmen.
KNA: Aber auf Vorcorona-Niveau sind wir noch nicht, was die Zahl der Flugreisen anbelangt…
Pillmayer: Stimmt, aber ich bin auch sehr dagegen, dass wir pauschal auf Vorcorona-Niveau kommen. Da gab es in der Tourismusbranche nur eine Richtung – nach oben. Und trotz der kleinen Coronadelle wird der Reisemarkt nach aktuellen Prognosen weiter anwachsen – trotz Klimawandel und den entsprechenden Schäden.
Es gibt Studien, die zeigen, welche Reisegebiete in den nächsten Jahren zunehmend unattraktiver werden aufgrund Hochwasser, Hitze, Flucht und Migration. Und die Gebiete, die davon nicht betroffen sind, sind die gemäßigten Breiten – wo zum Beispiel Deutschland liegt. Wenn das sich so weiterentwickelt, dann werden wir Overtourismus haben.
KNA: Wie erreicht man, dass die Menschen ein bisschen umdenken?
Pillmayer: Wir brauchen gute Alternativen, mehr Nachtzüge etwa, und diese müssen auch besser ausgestattet sein. Und das Fliegen muss realistischer werden. Das heißt auch, dass bestimmte Reisen nur noch zu einer bestimmten Zeit angeboten werden. Also dass etwa nicht vier Mal am Tag ein Flug nach Mallorca geht, sondern nur zwei Mal. Vielleicht muss es auch teurer werden.
KNA: Dann wird es aber für einige Menschen nicht mehr so erschwinglich sein.
Pillmayer: Ja. Dann kann ich vielleicht nur noch einmal im Jahr eine Fernreise machen. Aber dann mache ich das vielleicht mit einer ganz anderen Einstellung, als wenn ich jederzeit zu einem relativ günstigen Preis nach Bali fliegen kann. Wenn ich vielleicht das ganze Jahr dafür gearbeitet habe, erfährt Reisen wieder eine ganze andere Wertigkeit. Das ist die letzten Jahre ein wenig verloren gegangen, weil alles jederzeit zu einem überschaubaren Preis verfügbar ist – auch wegen des Smartphones.
Ich vergleiche das immer mit dem 99 Cent-Hähnchen. Mittlerweile ist es gesellschaftlich verpönt, wenn man das isst. Und zu einer ähnlichen Haltung müssen wir beim Thema Flugreisen oder zumindest Billigreisen kommen.
KNA: Aber die Verlockung ist natürlich groß…
Pillmayer: Und genau deshalb müssen auch mehr Reiseveranstalter sagen, dass sie bestimmte Konditionen nicht mehr mittragen. Das ist eine Frage der unternehmerischen Haltung, wenn man dem Prinzip des ehrbaren Kaufmanns folgen möchte. Den Billigurlaub nach Mallorca für 300 Euro eine Woche all inclusive wird es natürlich immer geben. Da darf man sich keine Illusionen machen. Aber es gibt auch Reiseveranstalter, die sich ihrer Verantwortung bewusst sind.
KNA: Wie sieht es in anderen Ländern aus: Ist man da eher bereit, aufs Fliegen zu verzichten?
Pillmayer: In Skandinavien oder auch in Slowenien herrscht insgesamt ein ausgeprägteres Bewusstsein für das ganze Thema Nachhaltigkeit. Das ist eine Frage der gesellschaftlichen Haltung, die sich über Jahre entwickelt hat. Bei den Engländern ist das Gegenteil der Fall – selbst mit einer Ikone wie King Charles III., der Nachhaltigkeit seit Jahren propagiert. Als der erste Lockdown vorbei war, sind die Buchungen bei easyJet an einem Wochenende um 300 Prozent in die Höhe geschnellt.
KNA: Sind Sie optimistisch, dass es in Deutschland zu einer Bewusstseinsveränderung kommt?
Pillmayer: Eigentlich schon. Es gibt zunehmend Initiativen, die sich mit Nachhaltigkeit beschäftigen. Wir haben zum Beispiel in Erlangen das erste klimapositive Hotel in Europa. Ich hoffe, dass die Leute so etwas wahrnehmen, und dass das dann auch zu einer Änderung ihres Reiseverhaltens beiträgt. Das heißt nicht, dass die Menschen in Zukunft komplett aufs Fliegen verzichten sollen. Aber dass es ihnen klar wird, es gibt gute oder vielleicht sogar bessere Alternativen.
KNA: Ist es nicht auch schade, dass beim Fliegen das Gefühl für den Weg ganz verloren geht? Ich steige ins Flugzeug und werde irgendwo auf der Welt wieder ausgespuckt?
Pillmayer: Das stimmt. Was über die Jahre verloren gegangen ist, ist ein Bewusstsein für die Distanzüberwindung, die mit Entbehrungen oder Herausforderungen verknüpft ist. Wenn Sie in 25 Stunden von München nach Neuseeland fliegen können, wissen Sie diese Strecke gar nicht mehr zu schätzen. Und es ist einem auch nicht klar, welcher Aufwand dahinter steckt.