Rund 2.000 Menschen haben am Sonntag in Bergen-Belsen an die Befreiung des niedersächsischen Konzentrationslagers erinnert. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sagte bei der Gedenkfeier des Landes, der jüdischen Gemeinden von Niedersachsen und der Gedenkstätte in Bergen-Belsen: „Erinnerungsarbeit mag noch so schwer und bedrückend sein, sie ist die Brücke zur Gegenwart und zu den Konsequenzen, die daraus heute für uns folgen.“
Auch heute gebe es in vielen Ländern der Welt Ausgrenzung und Aggression gegenüber Menschen, die anders sind, es gebe Rassismus und Antisemitismus. „Nirgendwo muss uns das mehr aufrütteln als in Deutschland“, betonte Weil vor der Inschriftenwand, die auf dem Gelände der Gedenkstätte Bergen-Belsen an die Opfer erinnert. Das „Nie wieder“ sei Auftrag der deutschen Verfassung. Weil hob besonders den Einsatz der Überlebenden für die Erinnerungskultur hervor und nannte sie in seiner Begrüßung an erster Stelle.
Zu der Veranstaltung waren noch gut 50 Überlebende des Lagers mit ihren Angehörigen gekommen. Sie erinnerten in ihren Reden an die unmenschlichen Bedingungen des Lagers, in dem Menschen zu Tausenden an Hunger, Durst und Seuchen zugrunde gingen. Vom Hunger könne man sich noch ablenken, sagte Ivan Lefkovits, der als Kind mit seiner Mutter in dem Lager war. „Durst nicht, Durst hat man.“
Am 15. April 1945 befreiten britische Truppen das Lager. Sie fanden Tausende unbestattete Leichen und Zehntausende todkranke Menschen vor. Lefkovits sagte, seine Mutter und er hätten jedoch stets erst den 17. April als Tag der Befreiung begangen, den Tag, an dem sie das erste Mal wieder zu trinken bekamen. Vorher seien die Befreier mit der Situation im Lager überfordert gewesen.
In Bergen-Belsen kamen mehr als 52.000 KZ-Häftlinge und rund 20.000 Kriegsgefangene um. Unter den Opfern waren Juden, Sinti und Roma, politisch Andersdenkende, Homosexuelle, als Asoziale oder Berufsverbrecher diffamierte Menschen oder auch Zeugen Jehovas. Auch das jüdische Mädchen Anne Frank, deren Tagebuch weltbekannt wurde, zählte dazu.
Für die britische Regierung erinnerte die Vize-Premierministerin Angela Rayner an die Bilder des Horrors, die sich den britischen Befreiern boten. „Tausende Körper am Boden in Haufen“, sagte sie. „Die noch lebten, waren zu schwach, um sich zu bewegen.“ Sie mahnte, es müsse alles dafür getan werden, dass der Holocaust niemals in Vergessenheit gerate.
Der israelische Botschafter Ron Prosor sagte, nach der Befreiung sei von den Überlebenden in Bergen-Belsen auch ein Neuanfang ausgegangen, viele seien nach Israel ausgewandert. Prosor erinnerte an den Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023. Viele in der arabischen Welt hätten gehofft, den Nationalstaat des jüdischen Volkes zu vernichten, sagte er. „Nach 77 Jahren müssen wir immer noch für den Erhalt des jüdischen Staates kämpfen.“ Weltweit gebe es neue Formen des Antisemitismus. Auch werde versucht, das Holocaust-Gedenken vom Staat Israel abzukoppeln. „Man würdigt die Toten, aber dämonisiert das Land der Überlebenden.“