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Leben in Israel: Ein Austauschstudent über Alltag, Konflikte und Hoffnung

Leander Knoop studiert Evangelische Theologie in Göttingen. Gerade war er mit dem Programm „Theologisches Studienjahr Jerusalem“ in Israel. Er berichtet im Gespräch, was es heißt, mit Krieg zu leben.

Leander Knoop mitten in der Altstadt mit Jerusalem
Leander Knoop mitten in der Altstadt mit JerusalemPrivat

Neun Monate hat Leander Knoop in Jerusalem studiert – trotz des eskalierenden Nahost-Konfliktes. Jetzt ist der 24-Jährige zurückgekehrt. Im Gespräch berichtet er, dass er ein ein Land erlebt hat, in dem sich alle dasselbe wünschen.

Der Nahost-Konflikt schreckt derzeit viele ab, nach Israel zu reisen. Hatten Sie Angst?
Leander Knoop: Ja, in den Wochen kurz vor der Ausreise habe ich mir schon Gedanken gemacht, ob ich tatsächlich nach Israel reisen sollte. Das war bis zum Tag der Ausreise so. Innerhalb der ersten Woche hat sich das verflüchtigt, weil ich erlebt habe, wie normal es auf den Straßen ist und wie die Menschen, Palästinenser und Israelis, dort mit der Situation leben. Es gibt ganz normalen Alltag, wenngleich der andauernde Krieg alle beschäftigt.

Warum haben Sie sich eigentlich für ein Studienjahr in Jerusalem beworben?
Ich habe mich darauf beworben, weil das Jahr die Möglichkeit bietet, im Land der Bibel zu studieren, die Orte der Bibel hautnah kennenzulernen. Das Theologische Studienjahr bietet erstklassige Lehrveranstaltungen, und das ökumenische Zusammenleben im Studienhaus „Beit Josef“ begeisterte mich.

Ist das aufgegangen?
Auf jeden Fall. Wir haben ganz viele Exkursionen gemacht und archäologische Orte besucht, in Jerusalem, der Wüste Negev, in Galiläa. Das war sehr eindrucksvoll. Aber auch spirituell wurde viel geboten: Wir haben Ostern und Weihnachten dort erlebt und waren dabei, als die unterschiedlichsten christlichen Konfessionen diese Feste gefeiert haben. Das waren ganz starke Erfahrungen.

Wie präsent war der Krieg zwischen Israel und Hamas für Sie?
Überall hängen Plakate für die Freilassung der Geiseln. Viele Geschäfte in der Altstadt waren geschlossen, es waren kaum Pilger und Touristen da. Wir hatten die Stadt für viele Monate fast für uns allein. Das ist sehr untypisch für Jerusalem. Etwa an fünf Tagen gab es während meines Aufenthalts Raketenalarm. Wir sind dann in den Schutzraum gegangen und nach zehn Minuten Wartezeit zurück in den Alltag.

Wie war diese Erfahrung?
Beim ersten Mal hat mich das erschrocken. Denn ich war nur politische Stabilität, Wohlstand, Sicherheit und Frieden während meiner gesamten Schulzeit gewohnt, als Merkel Kanzlerin war.
Aber die Mitarbeiter des Hauses haben am Tag nach dem Raketenangriff gesagt: „Oh, ihr wart im Schutzraum? Wir waren auf der Terrasse und haben uns das angeschaut. Der Iron Dome schützt uns doch.“ Das war total bizarr.
Wir sind trotzdem jedes Mal in den Schutzraum gegangen. Aber diese erste Erfahrung hat den Druck, die Enge, diese Angst genommen. Das ist komisch, wie schnell man lernen kann, damit zu leben.

Auf dem Kirchentag in Hannover wirbt Leander Knoop für das Studienjahr
Auf dem Kirchentag in Hannover wirbt Leander Knoop für das StudienjahrCatharina Volkert

Haben Sie in Ihrer Zeit in Jerusalem mit Israelis und Palästinensern über den Konflikt reden können?
Wir hatten Programme mit einer palästinensischen und einer israelischen Universität, wo wir mit Studierenden in Kontakt gekommen sind. Auch in der Freizeit habe ich Leute kennengelernt. Alle wünschen sich ein Ende dieses Krieges. Die Israelis, die ich kennengelernt habe, waren ratlos angesichts ihrer Regierung. Bei Palästinensern habe ich vor allem ein Ausgeliefertsein, eine Ohnmacht wahrgenommen.

War es relevant für andere Menschen, dass Sie als Deutscher in Israel waren?
Das deutsche und israelische Verhältnis ist ein besonderes, und das wird es auch immer bleiben. Wir haben die Gelegenheit bekommen, mit zwei Holocaustüberlebenden zu sprechen. Das war sehr eindrücklich.
Besonders, wie offen sie auf uns zugegangen sind und uns die Hand gereicht haben. Wir sind eine neue Generation. Wir sind nicht diejenigen, die die Schuld haben an dem, was geschehen ist, aber wir haben die Verantwortung, nicht zu vergessen.

Sollte man nach Israel reisen?
Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass gerade in Zeiten der politischen Polarisierung Leute nach Israel, aber vor allem auch in die palästinensischen Gebiete fahren.
Ich nehme oft wahr, dass Menschen sagen: „Das, was die israelische Regierung tut, oder das, was palästinensische Terroristen machen, das geht gar nicht. Ich möchte das nicht unterstützen, ich fliege nicht dorthin.“
Ich ermutige trotzdem dazu, Israel und die palästinensischen Gebiete kennenzulernen und sich selbst ein Bild von der Lage zu machen. Neben Tel Aviv und Jerusalem fahren Sie auch unbedingt nach Ramallah und Hebron. Hören Sie den Menschen zu.

 Informationen über das Jerusalem-Programm für Theologie-Studierende gibt es unter www.studienjahr.de.