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Staatskrise in Guatemala – Kardinal bittet in Berlin um Hilfe

Seit dem überraschenden Sieg von Bernardo Arevalo bei der Präsidentenwahl in Guatemala vor einem Monat kommt das Land nicht zur Ruhe. Der Justizapparat versucht mit dubiosen Methoden, den Machtwechsel zu behindern. Zuletzt protestierten Tausende Menschen gegen die Generalstaatsanwaltschaft. Inmitten der Krise führt Guatemalas Kardinal Alvaro Ramazzini politische Gespräche in Berlin. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) erklärt er, was er sich davon verspricht.

KNA: Herr Kardinal, was ist der Zweck Ihres Besuchs in Deutschland?

Kardinal Alvaro Ramazzini: Einerseits ist es ein Besuch bei Freunden. Ich treffe mich etwa mit Vertretern der kirchlichen Hilfswerke Misereor und Adveniat. Andererseits spreche ich hier in Berlin mit den zuständigen Stellen von Bundestag, Entwicklungs- und Außenministerium über die dramatische Lage in Guatemala.

KNA: Was erhoffen Sie sich von den Gesprächen mit der Bundesregierung?

Ramazzini: Wenn man die Zeitungen in Deutschland und anderswo in Europa aufschlägt, bekommt man leider den Eindruck, dass unser kleines Land für den Rest der Welt gar nicht existiert. Wir brauchen aber internationale Unterstützung im aktuellen Kampf für Demokratie und Gerechtigkeit. Dafür will ich werben. Die Welt darf uns nicht aus den Augen verlieren.

KNA: In Guatemala ist zurzeit allenthalben von einem “Pakt der Korrupten” die Rede, der um keinen Preis von der Macht lassen wolle. Können Sie erklären, wer oder was damit gemeint ist?

Ramazzini: In erster Linie ist das Justizsystem gemeint, das nur noch wenig mit seinen eigentlichen Aufgaben zu tun hat. Mehrere Richter und Mitarbeiter der Generalstaatsanwaltschaft haben wegen ständiger Drohungen das Land verlassen. Nun erleben wir eine Hexenjagd der Justizbehörden gegen den neu gewählten Präsidenten und seine Partei. Das System wird offensichtlich von Kräften manipuliert, die keine Veränderung wollen.

KNA: Was ist Ihre Prognose für den weiteren Verlauf des Machtkampfs?

Ramazzini: Das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Entscheidend wird sein, ob ausländische Partner wie die USA, die EU und die Organisation Amerikanischer Staaten (OEA) genügend Druck ausüben. Vor allem die USA sind wegen der engen wirtschaftlichen Verknüpfungen sehr, sehr einflussreich. Denn wie ein altes Sprichwort sagt: “Poderoso Caballero es Don Dinero.” (Geld regiert die Welt.) Das kann man nutzen, um die instabil gewordene Demokratie in Guatemala zu stärken.

KNA: Halten Sie Arevalo für den richtigen Mann, um einen Politikwechsel in die Wege zu leiten?

Ramazzini: Wenn er weiter die Unterstützung des guatemaltekischen Volkes genießt, kann das tatsächlich gelingen. Viele Menschen, wir als katholische Kirche ebenso, vertrauen darauf, dass er nicht nur guten Willens ist, sondern auch sein Wahlversprechen in die Tat umsetzt, Korruption und Armut zu bekämpfen. Nur mit vereinten Kräften ist es möglich, den sozialen Frieden wiederherzustellen. Und das weiß er auch.

KNA: Was kann die katholische Kirche tun?

Ramazzini: Wir müssen die herrschende Korruption schonungslos und direkt ansprechen, denn sie hat verheerende Folgen: Die Armut in Guatemala ist gestiegen, weil notwendige Strukturreformen in den vergangen 20 bis 25 Jahren nicht angepackt wurden. Jetzt besteht endlich die Chance, diese Reformen mit einem neuen Präsidenten umzusetzen. Die anderen Bischöfe und ich sind uns einig, dass er – bei aller gebotenen Distanz – unsere Hilfe verdient.

KNA: Ihr Wort hat Gewicht im katholisch geprägten Lateinamerika. Was sagen Sie den Gläubigen – wie sollen sie mit der gegenwärtigen Krise umgehen?

Ramazzini: Sie sollen sich einmischen. Doch vielen Katholiken ist das politische Geschäft zuwider, weil sie es für schmutzig halten. Diese Einstellung muss sich ändern. Wer nichts unternimmt, überlässt die Macht den mafiösen Gruppen und Drogenkartellen.