Norderstedt. „Was ist typisch deutsch?“, fragte die Hamburger Journalistin Hanna Gieffers junge Flüchtlinge im Sommer 2015. In einer Zeit also, in der in den Medien von „Flüchtlingsströmen“ die Rede ist, die sich – einer Naturkatastrophe gleich -– unaufhaltsam Europa nähern. In den Monaten, in denen „Flüchtling“ vom neutralen Sammelbegriff zur Kampfansage mutiert. Die einen hielten jeden Ankommenden für gut ausgebildet. Die anderen würden in jedem arabischen oder afrikanischen Mann einen potenziellen Kriminellen und Unterdrücker der Frauen sehen. Eine explosive Mischung aus Euphorie („Wir schaffen das!“) und Überforderung macht sich in Deutschland breit. Hinter der Menschenmenge bleibe der Blick aufs Individuum oft versperrt, sagt die Journalistin Hanna Gieffers.
Im kleinen Rahmen will sie das ändern. Weil „Flüchtling“ weder ein Beruf ist noch eine Charaktereigenschaft. Deshalb hat die 29-Jährige Kontakt zu Erstaufnahmeeinrichtungen aufgenommen und hat schließlich in Norderstedt acht Gesprächspartner gefunden. „Ich wollte deutsche Selbstverständlichkeiten mit fremden Augen neu entdecken und dabei den Geflohenen auf Augenhöhe begegnen.“ Ergebnis war ein Artikel für „bento“, das junge Onlineportal vom Spiegel. Statt schockierender Fluchtbilder zeigt die Journalistin ganz normale junge Menschen und wie sie ihre neue Wahlheimat wahrnehmen.
Flucht steht nicht im Mittelpunkt
Alle sind zwischen 18 und 30 Jahre alt. Die sieben Männer und eine Frau kommen aus Somalia, Afghanistan, Syrien und Albanien, dem Iran und Irak. In ihrer Heimat waren sie Verkäufer und Krankenschwester, machten gerade ihre Ausbildung oder studierten.
Im Mittelpunkt der Interviews stehen bewusst die Personen, nicht ihre Fluchterfahrungen. Gemäß Karl Valentins immer gültigem Satz „Fremd ist der Fremde nur in der Fremde“ bittet Hanna Gieffers ihre acht Interviewpartner, etwas „typisch Deutsches“ zu erzählen.
Während ihrer Studienaufenthalte in Clermont-Ferrand und Straßburg machte sie selbst die Erfahrung, dass französischer und deutscher Alltag sich durchaus unterscheiden, und das schon im innereuropäischen Kontext. „Wie musste Deutschland dann erst auf Menschen aus völlig anderen Kulturkreisen wirken?“
Beim Zuckerfest der Erstaufnahmeeinrichtung Norderstedt wurde Barbara Heyken vom Projekt „Interkulturelle Öffnung“ im Netzwerk „Mehr Land in Sicht! – Arbeit für Flüchtlinge in Schleswig-Holstein“ auf Gieffers Idee aufmerksam. Heyken war so begeistert davon, dass sie vorschlug, Bilder und Texte öffentlich auszustellen. „Dieser Perspektivwechsel zeigt wunderbar, dass interkulturelle Öffnung keine Einbahnstraße ist, sondern Austausch.“ Jetzt ist die Ausstellung in der Volkshochschule Norderstedt mit 60 Gästen eröffnet worden.