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So geht Inklusion!

Schüler, Lehrer und Eltern im Freudenrausch: Die evangelische Martinschule Greifswald hat den Deutschen Schulpreis gewonnen – dank ihrer Inklusion im Klassenzimmer.

Die Martinschule jubelt bei der Preisverleihung
Die Martinschule jubelt bei der PreisverleihungMax Lautenschläger / Robert-Bosch-Stiftung

Greifswald. Mag sein, dass Schulleiter Benjamin Skladny gerade etwas Wichtiges sagt, da in der Live-Übertragung aus Berlin, aber das hört an diesem 14. Mai um 13:15 Uhr keiner mehr. „Jaaa! Wir sind Sieger!“ Die Aula des evangelischen Schulzentrums Martinschule in  Greifswald hat sich gerade in eine Jubelmenge verwandelt: Schüler, Lehrer, ein paar Eltern, alle lachen, reißen die Hände in die Höhe. Denn soeben wurde im Fernsehsender Phönix live verkündet: Die Martinschule hat den Deutschen Schulpreis 2018 gewonnen.
„Jetzt gibt det Kohle!“, ruft ein Schüler über den Gang. Tatsächlich: 100 000 Euro Preisgeld der Robert-Bosch-Stiftung gehören jetzt der Schule. Aber vor allem gilt der Preis als Beweis dafür, dass an dieser evangelischen Schule das gelingt, was viele staatliche Schulen erst mühsam anstreben: Kinder mit Behinderung und ohne gemeinsam zu unterrichten. Fast jeder zweite Schüler hat hier sonderpädagogischen Förderbedarf. Gleichzeitig ist der Abiturdurchschnitt mit 2,1 besser als im Schnitt in Mecklenburg-Vorpommern (2,3).

Jury besuchte Schule

„Inklusion ist anstrengend, aber sie lohnt sich“ , sagt Erziehungswissenschaftler Michael Schratz als Sprecher der Wettbewerbs-Jury in Berlin. Und: Das Kollegium der Martinschule habe den unbedingten Willen, das „Anderssein“ jedes Schülers zu wertschätzen. 
„Ich kann es noch kaum fassen, dass wir gewonnen haben“, sagt Lehrerin Anne Jeschke, Mitglied im Leitungsteam des Grundschulbereichs. 90 Schulen aus ganz Deutschland hatten sich beworben, 20 kamen in die Auswahl und wurden von Fachleuten besucht. „Das war aufregend“, erinnert sich Anne Jeschke. Denn die Besucher hätten sich alles genau angesehen, sehr gezielte Fragen gestellt. „Da musste man schon auf den Punkt antworten.“
Sechs Qualitätsbereiche nahmen die Experten unter die Lupe: Leistung, Umgang mit Vielfalt, Unterrichtsqualität, Verantwortung, Schulklima und „Schule als lernende Institution“. Dass Kinder etwa mit Autismus oder körperlichen Einschränkungen an der Martinschule zusammen mit durchschnittlich begabten und Hochbegabten in einer Klasse sitzen – „das hat die Jury am meisten beeindruckt“, erinnert sich Anne Jeschke. Für das Kollegium selbst sei das dagegen normal, „weil wir uns ja aus einer Schule für geistig behinderte Kinder entwickelt haben.“ 1992 war die Martinschule mit diesem Ansatz gegründet worden, erst später öffnete sie sich für andere Schüler. Lehrer arbeiten hier im Team mit Integrationshelfern und anderen Pädagogen. 

Inklusion bis zum Abitur

Das Kollegium selbst sei vor allem stolz darauf, dass die Martinschule ihren inklusiven Ansatz nicht nur in der Grundschule lebe, sondern dabei sei, ihn bis zum Abitur weiter zu führen, sagt Anne Jeschke. „Wie geht das so, dass alle Schüler entsprechend ihres Leistungspotentials ihren Abschluss machen können“, das müsse man dafür fragen. 
Die Vielfalt der Kinder werde an der Martinschule als Potenzial gesehen, ausgehend vom christlichen Menschenbild, erklärt Anne Jeschke auch. „Und wir achten auf die Balance: Was braucht der Einzelne und wie gestalten wir die Gemeinschaft so, dass alle gern zusammen lernen?“   
Integrationshelferin Rebecca Würfel, die bis vor Kurzem selbst an der Martinschule gelernt hat, hält den Schulpreis für berechtigt. „Die Schule ist wirklich toll“, sagt die 20-Jährige. Wie die Lehrer das selbständige Lernen ihrer Schüler förderten, sei etwas Besonderes. „Und bis zur 9. Klasse wurde ich nicht mit Noten bewertet, sondern jemand hat mir rückgemeldet, wo meine Stärken und Fähigkeiten sind. Das war toll.“  
„Die Zeit“ und andere überregionale Medien haben in den vergangenen Wochen die Martinschule besucht, am Tag der Preisverleihung landete die Einrichtung sogar in der Tagesschau am Nachmittag. So könnte der Preis wohl etwas in Bewegung bringen im Deutschen Schulsystem. Martinschul-Leiter Benjamin Skladyn meint: „Inklusion kann gelingen, sie muss aber aus den Schulen wachsen und kann nicht verordnet werden.“