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Schlechtes Gewissen reicht nicht

Energiesparen, Klima schützen – jeder kann dazu beitragen. Im Alltag aber fällt das schwer. Regeln müssen nachhaltiges Verhalten zur Routine machen, meint der Sozialwissenschaftler Michael Kopatz

© epd-bild / Thomas Rohnke

BERLIN/WUPPERTAL – Ein trüber Wintertag in Berlin, Schüler einer Sekundarschule im Bezirk Reinickendorf dämmern die erste Stunde unter Neonlicht dahin. Die Luft ist stickig, noch ist der Lehrer nicht in Sicht. Doch dann geht die Tür auf und es piept. Einige Schüler blicken irritiert auf, ihr Lehrer Matthias Müller hat einen fremden Mann mit einem Messgerät im Schlepptau. „1500 ppm“ wird er Minuten später rufen und erklären, dass jetzt sofort die Fenster aufgerissen werden müssten, denn der CO2-Gehalt in der Luft sei viel zu hoch. Konzentrationen unter 1000 ppm Kohlendioxid in der Raumluft gelten als unbedenklich. Die Schüler murren, und als die erste kalte Luft das Klassenzimmer erreicht, ziehen einige ihre Jacken an.

Raumtemperatur senken und Energie sparen

Sie machen gerade eine Projekteinheit zum Thema Klimaschutz: Umweltpädagoge Wolfram Wehrmann vom Verein Unabhängiges Institut für Umweltfragen (UfU) ist im Rahmen des Berliner Klimaschutzprogramms fifty/fifty unterwegs. Es soll Schulen dazu bringen, weniger Energie zu verbrauchen. Das eingesparte Geld wird ihnen zur Hälfte als Bonus überwiesen.
Die Schüler lernen, dass die Heizung ein steuerbares technisches Gerät ist. Und dass, wenn man die Temperatur von 22 auf 20 Grad runterregelt, täglich zwölf Prozent Kosten und Energie eingespart werden können. Auch das Licht im Klassenraum wird gemessen: 450 Lux zeigt das Gerät, 300 seien empfehlenswert, sagt der Umweltpädagoge.
Kann man so Halbwüchsige für den bewussten Umgang mit Ressourcen gewinnen? Nein, meint der  Autor Michael Kopatz. Er diagnostiziert Ohnmachtsgefühle, Gleichgültigkeit und Fatalismus. „Wenn man einmal ganz ehrlich ist, hat die Umweltbildung in den letzten drei Jahrzehnten vor allem bewirkt, dass mehr Menschen als früher mit schlechtem Gewissen ins Flugzeug steigen und mit schlechtem Gewissen Auto fahren“, erklärt Kopatz. Das heißt: Das Bewusstsein hat sich geändert, das Verhalten aber nicht.
Er ist wissenschaftlicher Projektleiter im Wuppertaler Institut für Klima, Umwelt, Energie. Dort war er maßgeblich an der Erstellung des Standardwerks „Zukunftsfähiges Deutschland“ beteiligt und forscht darüber, wie sich eine umfassende Lebensstilwende realisieren lässt. Er fordert Gesetze und Richtlinien, die einem gar nichts anderes übriglassen. „Limits befreien von der Schizophrenie zwischen Wissen und Handeln“, formuliert der Sozialwissenschaftler.
Nachhaltiges Verhalten muss durch klare Regeln zur Routine werden, meint Kopatz: Wer Fleisch essen möchte, soll dafür einen Preis zahlen, der Tierwohlstandards ermöglicht; Sparlampen sind Pflicht und wer unbedingt ein eigenes Auto braucht, zahlt dafür und muss sich um eine teure Lizenz bewerben.
„Nur auf den Gesetzgeber warten, dazu reicht die Zeit nicht aus“, sagt hingegen Dorothea Carl, Projektleiterin Umweltbildung und Klimaschutz beim Verein UfU, der die Fortbildung an der Reinickendorfer Schule organisiert hat. „Es geht bei dem Schulprojekt um Selbstwirksamkeit. Die Schüler sollen merken: Wir können durch unser Verhalten  selbst etwas für den Klimaschutz tun.“ Dabei ist auch ihr klar: „Allein ans Gewissen zu appellieren, ist nicht genug.“ Aber das Projekt „fifty/fifty“ biete den Schulen materiellen Anreiz. „Und den Schülern wird klar, dass sie auch zu Hause mit Klimaschutz Geld sparen können.“

Aktion „Klimafasten“ der Landeskirchen

Auf kleine Schritte setzt auch die Aktion Klimafasten von evangelischen Landeskirchen zwischen Aschermittwoch und Ostern. Unter dem biblischen Leitsatz „So viel du brauchst“ will sie dazu anregen, das eigene Handeln zu überdenken. Und macht konkrete Vorschläge: die Wäsche mit 30 Grad statt 40 Grad waschen, mit einem Thermometer die Zimmertemperatur im Blick haben, Stromfresser im Haushalt aufspüren. (Siehe auch UK 10/2017, Seite 2.)
Umweltpädagogik an Schulen ist nach Kopatz‘ Meinung nicht sinnlos: Sie könne die Basis schaffen für ein Konzept der Ökoroutine, bei dem umweltfreundliche Standards und Limits zur Normalität werden. Denn für die Durchsetzung von Restriktionen müsse es Einsicht geben. Umgekehrt werde sich ohne Druck der Bürger in der Umweltpolitik nur wenig bewegen.

Michael Kopatz: Ökoroutine. Damit wir tun, was wir für richtig halten Autor. Oekom Verlag, 24, 95 Euro.