Artikel teilen:

„Schickt selbst ein Schiff!“

Würde Noah in den heutigen Zeiten leben, würde seine Arche wohl beschlagnahmt und er selbst stände unter Arrest. So ist es der Kapitänin der Sea Watch 3, Carola Rackete, ergangen. Ihr Seenotrettung von Flüchtlingen im Mittelmeer und das Anlaufen in Lampedusa brachte sie vor Gericht. Wie kann es sein, dass die Rettung von Menschenleben kriminalisiert wird? Eine Resolution des Deutschen Evangelischen Kirchentages forderte die EKD auf: Schickt selbst ein Schiff! Jaochim Lenz, Direktor der Berliner Stadtmission, schreibt über die Seenotrettung unter evangelischer Flagge.Am Samstag, 6.7., 14 Uhr, ist eine Demonstration der „Seebrücke“ geplant. Dazu lädt auch die Stadtmission ein.

Die Kapitänin von Sea-Watch 3, Carola Rackete, wurde in Italien festgenommen, weil sie Flüchtlinge durch das Einlaufen in Lampedusa retten wollte. Soll auch die Evangelische Kirche ein Rettungsschiff ins Mittelmeer schicken? Sie prüft derzeit, wie das umgesetzt werden kann.

Von Joachim Lenz

Die Seenotrettung im Mittelmeer und ihre Kriminalisierung durch europäische Staaten werden heftig diskutiert. Rettungsschiffe sind in Malta und Italien unter fadenscheinigen Gründen festgesetzt. Men-schen auf der Flucht lässt man zu Hunderten ertrinken. Deshalb fordert eine Resolution des Deutschen Evangelischen Kirchentages in Dortmund die EKD und ihre Gliedkirchen auf: „Schickt selbst ein Schiff in das tödlichste Gewässer der Welt. Ein Schiff der Gemeinschaft, der Solidarität und Nächstenliebe“ (Wortlaut: change.org/schiff).Reederei statt Rederei? Aber ja! Im Mittelmeer, an unserer EU-Außengrenze, kommen Menschen um, weil wir in Europa immer noch keinen anständigen Umgang mit Flucht und Migration haben. Die Hoffnung, etwas gegen das Sterben zu tun, statt nur hilflos zuzuschauen und über untätige Staaten zu klagen, begeistert viele.Der Impuls kam während des Kirchentages von einigen, die ungeduldig geworden sind. Dass ein Problem groß ist, darf mögliches konkretes Tun nicht verhindern. Selbstverständlich müssen wir Frauen, Männer und Kinder vor dem Tod retten, wenn es geht. Und es geht, auch wenn es nicht zur Idee einer Festung Europa passt.Im Grundsatz herrscht Einigkeit: „Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt.“ Für diesen Satz der Predigerin im Schlussgottesdienst des Kirchentages, Sandra Bils, gab es Riesenbeifall. In nur drei Tagen schlossen sich weit über 20000 Menschen der Resolution an. Die Adressaten, also EKD und Landeskirchen, haben den Appell gehört und überlegen derzeit die Umsetzung der Schiffsidee – da geht es zum Beispiel um Rechtsform, Haftungsfragen, Finanzierung, zivilgesellschaftliche Kooperationspartner.Dass Menschenfeinde in Italien und hier vor Wut über Rettungsschiffe schäumen, ist erwartbar. Gegen solche Widerstände müssen bessere, gerechtere Haltungen und Strukturen in Europa gefunden werden. Wichtig finde ich die echten Fragen nach dem Sinn der Aktion: Es ist doch nur ein einzelnes Schiff! Müssen nicht andere, sichere Fluchtwege her? Migration und Flucht lassen sich nicht durch reine Symbolpolitik bekämpfen!Ganz klar: Ein weiteres Schiff, auch unter evangelischer Flagge, löst die Gesamtproblematik von Flucht und Migration nicht. Es ist aber weit mehr als nur Symbolpolitik, solch ein Schiff loszuschicken: Es ist ein Zeichen dafür, dass unsere Gesellschaft die Werte der Humanität nicht aufgibt. Es macht Menschen Mut, die sich um Geflüchtete oder andere Menschen in Not kümmern und die sich dabei oft hilflos und alleingelassen fühlen. Manche sind endlich einmal wieder stolz auf ihre Kirche – ich zum Beispiel. Andere jenseits der Kirche schließen sich an: Die Christinnen und Christen sind als Teil der Zivilgesellschaft vorn mit dabei, unser Miteinander nach ethischen Grundspielregeln zu gestalten.Vor allem aber soll das Schiff Menschen retten. Wenn es „nur“ 50 wären, bevor es festgesetzt würde, wäre das Schiff für diese 50 das Leben. Fragen Sie die dann mal, ob das nur Symbolpolitik ist!

Joachim Lenzist Direktor der Berliner Stadtmission.

Am Dienstagabend feierte die Stadtmission gemeinsam mit dem Flüchtlingsnetzwerk „Berlin hilft“ eine Andacht vor der italienischen Botschaft in Berlin. Fürbitten hielten unter anderem Integrationssenatorin Elke Breitenbach, Christian Lühder von „Berlin hilft“ und Joachim Lenz.Am Samstag, 6.7., 14 Uhr, ist eine Demonstration der „Seebrücke“ geplant. Dazu lädt auch die Stadtmission ein.Palermo-Appell prominenter Persönlichkeiten und von See-Watch für eine europäische Aufnahme-Lösung: www.ekd.de