Seit dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober und der anschließenden Bodenoffensive Israels in Gaza ringen die Vereinten Nationen (UN) um einen gemeinsamen Standpunkt. Einer kürzlich verabschiedeten Resolution der Vollversammlung stimmte Deutschland nicht zu, der UN-Sicherheitsrat kam noch zu gar keiner Einigung. Christoph Safferling, Direktor der Akademie Nürnberger Prinzipen und Professor für Völkerrecht, erklärt gegenüber dem Evangelischen Pressedienst (epd), was die UN in dem Konflikt bewirken kann.
epd: Die Vereinten Nationen haben in einer Generalversammlung am vergangenen Freitag mit einer Zweidrittelmehrheit eine Resolution verabschiedet, in der sie eine humanitäre Waffenruhe in Gaza fordern. Bis jetzt ist das nicht geschehen. Welche Macht hat eine solche Resolution überhaupt in einem Konflikt?
Christoph Safferling: Sie ist letztendlich eine politische Appellation, also der Aufruf zu einem Waffenstillstand. Eine Resolution der Generalversammlung hat aber keine bindende Wirkung. Sie drückt den Willen der Mehrheit der Mitgliedsstaaten aus.
epd: Anders ist das bei einer Resolution des UN-Sicherheitsrates. Dieser besteht aus zehn wechselnden Mitgliedsstaaten plus den fünf ständigen Mitgliedern USA, Großbritannien, Frankreich, China und Russland. Welchen Effekt hätte ein Beschluss dort?
Safferling: Der Sicherheitsrat ist das wichtigste Gremium der Vereinten Nationen und er ist verantwortlich für Frieden und Sicherheit in der Welt. Dort können tatsächlich Resolutionen verabschiedet werden, die auch bindende Wirkung haben für alle Mitgliedstaaten. Wenn der Sicherheitsrat also einen Waffenstillstand in Gaza fordern würde, müssten sich die Parteien daran halten, sonst wäre das ein Bruch des Völkerrechts.
epd: Der Sicherheitsrat hat sich bis vor wenigen Tagen getroffen und über eine solche Resolution diskutiert, kam aber zu keinem gemeinsamen Ergebnis. Was verhindert die Einigung?
Safferling: Der Sicherheitsrat ist ein Kind des Zweiten Weltkriegs und der politischen Situation danach. Die fünf Hauptakteure sind die vier alliierten Siegermächte plus China. Sie alle sind mit einem Vetorecht ausgestattet. Bereits vor einer Woche wurde im Sicherheitsrat über eine Resolution verhandelt. Es gab einen Formulierungsvorschlag der USA und einen von Russland. Der Formulierungsvorschlag der USA scheiterte an dem Veto von Russland und China und der Vorschlag von Russland fand nicht die erforderliche Mehrheit von mindestens neun Stimmen. Deswegen hat man hier eine Patt-Situation, wie man das in den letzten Jahren ständig hat im Sicherheitsrat.
epd: Wie geht es weiter, wenn man im Sicherheitsrat zu keiner Einigung kommt?
Safferling: Der Sicherheitsrat beschäftigt sich natürlich ständig mit dieser Situation und reagiert auf neue Vorkommnisse. Der Krieg dauert ja leider an und dann kann auch jederzeit eine neue Resolution verabschiedet werden, wenn man sich einigen kann. Man trifft sich regelmäßig, unterhält sich darüber und schaut, ob man sich doch irgendwie verständigen kann.
epd: Russland und die USA blockieren sich über ihr Vetorecht immer wieder gegenseitig. Das hat man bereits letztes Jahr gesehen, als es um eine Resolution zum Krieg Russlands gegen die Ukraine ging und auch bei einigen Konflikten davor. Wird der Sicherheitsrat dadurch handlungsunfähig?
Safferling: Die Situation gibt es jetzt schon seit längerem. Im Grunde gab es nur 1989 und in den folgenden Jahren eine Zeit, in der man sich im Sicherheitsrat sehr gut verstanden hat, wo sich auch die USA und die russische Föderation einigen konnten. Danach war die Harmonie spätestens mit der Bombardierung Belgrads im Kontext des Kosovo-Konflikts wieder vorbei. Aber davor, in den Jahren des Kalten Krieges, gab es die ja auch nicht. Selbst in dieser Zeit haben die Mitglieder die Institution nicht verlassen. Die Staaten sind weiterhin dort, treffen sich und reden miteinander. Das muss man, glaube ich, auch immer wieder betonen. Immerhin gibt es so eine Institution, in der sich Staaten treffen und versuchen, Lösungen zu finden und ihre Sichtweisen auszutauschen. Das ist ein Gut an sich. Man sieht nur jetzt gerade nicht, dass es auch praktische Konsequenzen hat.
epd: Sie waren vergangene Woche bei den Beratungen anwesend. Sind die Parteien bei ihren Diskussionen über den Nahen Osten verhandlungsbereit?
Safferling: Ich hatte schon das Gefühl, dass man eigentlich gar nicht so weit auseinander ist. Aber irgendwie kriegt man es nicht vom Eis. Die USA bestehen natürlich darauf, dass hier der Anlass, nämlich dieser terroristische Überfall und das Massaker auch so benannt wird und dass die Hamas als terroristische Organisation benannt wird. Das wird von der arabischen Welt mehrheitlich nicht so gesehen und Russland und China schließen sich da letztendlich an. Aber eigentlich könnte man sich in dem Punkt ja verständigen. Ich hatte in der späteren Diskussion schon den Eindruck, dass man sich in der Verurteilung dessen, was da passiert, und der Verurteilung dieser kriegerischen Auseinandersetzung eigentlich einig war, aber es fehlte eben die klare Verurteilung – und Lösungsmöglichkeiten fehlen sowieso.
epd: Gehen wir einmal davon aus, man könnte sich einigen. In der nächsten Zeit würde eine Resolution verabschiedet werden, in der eine Waffenruhe aus humanitären Gründen gefordert wird. Was würde als Nächstes passieren?