Ende der Woche wird das Unesco-Komitee in Neu-Delhi entscheiden: Schafft das Residenzensemble Schwerin den Sprung auf die Weltkulturerbeliste? Falls nicht, hat Deutschland noch einen weiteren Joker in der Hinterhand.
Beim Begriff Märchenschloss denken viele an den spleenigen Bayernkönig Ludwig II. (1845-1886) und seine Luxus-Herberge Neuschwanstein – doch in ein paar Tagen könnte das Residenzensemble Schwerin zum globalen Inbegriff eines Märchenschlosses werden. Versehen mit dem Gütesiegel “Weltkulturerbe”.
Seit Sonntag sitzt nämlich das Unesco-Welterbekomitee im indischen Neu-Delhi zusammen, um über die Aufnahme neuer Stätten in die Welterbeliste zu beraten; das Residenzensemble ist als deutscher Vorschlag unter den knapp 30 Stätten, die nominiert sind.
Betrachtet man den von einer malerischen Seen- und Parklandschaft umgebenen Prunkbau aus der Nähe, kann dies kaum überraschen. Zumal er auch innen mit Schlossmuseum, inklusive Thronsaal, einiges zu bieten hat. Insider sind sich sicher, dass es klappen wird mit dem Sprung auf die Liste, welche den Welterbe-Status bedeutet.
Doch was heute so einfach wirkt, hat eine beschwerliche Vorgeschichte. Es begann im Jahr 2000 mit einer öffentlichen Mitgliederversammlung des Vereins Pro Schwerin zum Thema “Das Schweriner Schlossensemble”, setzte sich fort über einen Beschluss der Stadtvertretung (2001) und einen Landtagsbeschluss zum “Schlossensemble Schwerin” (2007). Im Jahr 2014 gelangte das Residenzensemble schließlich auf die Liste der Bundesrepublik Deutschland zur Bewerbung um den Titel als UN-Welterbe-Stätte. Ein Nominierungsdossier wurde entworfen und fortgeschrieben, die Bewerbung vorgeprüft. Im Februar 2023 dann die Einreichung beim Welterbekomitee der Unesco.
Viel bürokratischer Aufwand, doch angesichts des Ensembles und seiner verschachtelten Baugeschichte ist das keine Überraschung: Aus einer ursprünglich slawischen Befestigungsmauer aus dem 10. Jahrhundert wurde eine Burg, die Mitte des 12. Jahrhunderts Heinrich der Löwe zerstörte. Um 1500 existierte nur noch eine Insel mit ringförmiger Wallanlage. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts entstand rund um den ersten protestantischen Kirchenbau in Mecklenburg das “Urschloss”, welches Mitte des 19. Jahrhunderts aber umfassend neugestaltet wurde. Großherzog Friedrich Franz II. von Mecklenburg-Schwerin (1823-1883) wollte es so. Sein oberster Bauleiter, Georg Adolph Demmler, entwickelte das Konzept für ein Gebäude im französischen Neo-Renaissance-Stil.
Dabei blieb es nicht. Ein Schloss braucht schließlich auch einen repräsentativen Garten. Für einen solchen war auf der Schlossinsel trotz schöner Skulpturen (Allegorie des Wassers, Viktoria, König David) nicht genug Platz. Auf dem Festland legte man deshalb einen Garten im Barockstil an – mit Teich und Drehbrücke. Etwas später kamen auch noch Laubengänge und ein Reiterdenkmal dazu. Alles symmetrisch und weitläufig. Zugleich zeichnet sich das Ensemble durch eine Fülle von Formen, Funktionalität und Disneyland-Flair aus.
Nach der Wende 1990 fand der neue Landtag von Mecklenburg-Vorpommern im Residenzensemble ein Zuhause. Derzeit wird er auf vier Etagen um Fraktionsräume erweitert, weswegen die Schlossfassade mal wieder den Charakter einer Baustelle hat. Doch wen kümmert das?
Wenn am 27. Juli zwischen 6.00 Uhr und 14.30 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit die Abstimmung im fernen Neu-Delhi über das Residenzensemble stattfindet, sollen die Bürger von Schwerin mitfiebern. Getreu dem städtischen Werbebanner: “Eine Stadt – ein Ziel: Entscheidung der Unesco in 2024”. In diesem Zeitraum der Entscheidung wird auch ein Livestream mit Public Viewing ausgestrahlt. Zwar ist die Übertragung einer wissenschaftlichen Konferenz in Indien wohl nicht ganz so spannend wie ein Spiel der Fußball-Nationalelf, aber die Chance, die mögliche historische Entscheidung live mitzuerleben, will man sich in Schwerin nicht entgegen lassen.