Anschlagzettel und Plakate wurden Mitte des 19. Jahrhunderts in ganz Berlin wild auf Hauswände, Zäune und jegliche öffentlich sichtbare Fläche geklebt. Das missfiel nicht nur dem Druckereibesitzer und Verleger Ernst Litfaß (1816-1874), sondern auch dem gestrengen Polizeipräsidenten Karl Ludwig von Hinckeldey. Diesem kam ein Angebot des umtriebigen Litfaß gerade recht: Der Geschäftsmann wollte die alleinige Konzession zur Aufstellung von „Anschlagsäulen“ in der preußischen Hauptstadt. Vor 150 Jahren, am 27. Dezember 1874, starb Ernst Litfaß, der die nach ihm benannten Säulen in Berlin einführte, in Wiesbaden.
Dem preußischen Beamten Hinckeldey konnte Litfaß seine Offerte schmackhaft machen, indem er ihn auf die Möglichkeit einer Zensur hinwies. Der Unternehmer erhielt also 1854 die Konzession zur Errichtung von Säulen „zwecks unentgeltlicher Aufnahme der Plakate öffentlicher Behörden und gewerbsmäßiger Veröffentlichungen von Privatanzeigen“. Der Vertrag umfasste auch bereits bestehende Brunnen und Pissoirs, die Litfaß mit Holz verkleiden ließ, um sie für den Plakatanschlag zu nutzen.
Ordnung als Geschäftsidee: Die Anschlagsäulen waren anfangs in Berlin umstritten. Litfaß wusste das und startete eine intensive Presse- und Werbekampagne für das neue Medium. Die Idee für die Säule stammte übrigens nicht von ihm. Er hatte sie von Reisen aus London und Paris mitgebracht, was er aber nicht an die große Glocke hängte.
Um die Berliner neugierig zu machen und für sein Vorhaben zu gewinnen, kooperierte er mit einer Tageszeitung, die fortlaufend und wohlwollend über das Projekt berichtete. Bald schon stand das Fundament der ersten Probesäule vor dem Haus seiner Druckerei. Und die Zeitungsleser erfuhren auch, wie die künftige Uniform der „Anschlagspediteure“ aussehen würde: Für die Plakatkleber waren eine graue Bluse mit roten Biesen, also dekorativen Falten, sowie ein schwarzer Hut und ein Schild aus Messing vorgesehen.
Großformatige Anzeigen in allen wichtigen Berliner Zeitungen kurz vor dem 1. Juli 1855 kamen hinzu, um an diesem Tag den „Geburtstag“ der Litfaßsäule zu feiern. Die Berliner strömten herbei und hörten zunächst ein kleines Platzkonzert: Es erklang die „Ernst-Litfaß-Annoncir-Polka“ des damals berühmten Komponisten Kéler Béla. Nun war Litfaß in seiner Heimatstadt zum „Reklamekönig“ oder, spöttisch-liebevoll, zum „Säulenheiligen“ geworden.
Aus einer alten Buchdruckerfamilie stammend, hatte er 1846 den väterlichen Betrieb mit Druckerei und Verlag übernommen. Sein breites kulturelles Interesse nutzte er für verlegerische Aktivitäten: Im Auftrag von sieben Theatern gab er die „Theater-Zwischen-Acts-Zeitung“ heraus. Ein Erfolg, denn sie enthielt nicht nur die aktuellen Theaterzettel mit der Besetzung der Inszenierungen, sondern auch Berichte und Feuilletons und kostete trotzdem nicht mehr als der einfache Theaterzettel bisher.
Seine Druckerei modernisierte er ständig. Er betrieb mehrere Schnellpressen, was die Kosten senkte, konnte Riesenplakate im Format von 6,28 mal 9,42 Meter drucken und war der Erste in Berlin, der sich an den Buntdruck wagte.
In den Kriegsjahren 1866 und 1870/71 bekam Litfaß, inzwischen zum Kommissionsrat und Königlichen Hofbuchdrucker avanciert, die alleinige Konzession für die Erstveröffentlichung von Kriegsdepeschen. Die offiziellen Nachrichten lockten viele Interessenten an die Litfaßsäulen. So erhielten auch die Reklameplakate höhere Aufmerksamkeit, was die Werbekunden zu schätzen wussten.
Doch Litfaß wollte nicht als Profiteur der militärischen Nachrichtenvermittlung gelten. Er organisierte Wohltätigkeitsveranstaltungen, die er „patriotische Feste“ nannte. Diese beliebten „Litfaß-Bälle“ hatten Volksfestcharakter. Der Erlös kam zum Beispiel Kriegsinvaliden zugute. Als Ernst Litfaß kurz nach Weihnachten 1874 während eines Kuraufenthalts in Wiesbaden im Alter von knapp 59 Jahren starb, hinterließ er ein Millionenvermögen.
Die ersten Säulen waren 3,28 Meter hoch und hatten einen Umfang von 2,80 Meter. Der Schaft war aus Eisenblech, ein gusseiserner Schmuckfries bekrönte sie. Später baute man sie höher; Beton, Eternit und schließlich auch Kunststoff ersetzten das Metall.
Das heutige Standardmodell bietet auf einer Standfläche von 1,25 Quadratmetern eine Werbefläche von stattlichen 13 Quadratmetern. „Die Säule als Form, wie Ernst Litfaß sie einst in Deutschland populär machte, bleibt ein prägendes Medium in der Außenwerbung, obgleich sie sich von der Säule mit geklebten Plakaten hin zur Säule mit gehängten hinterleuchteten Plakaten entwickelt hat“, erklärt Christian Knappe von der Wall GmbH in Berlin, die rund 1.070 Litfaßsäulen bewirtschaftet. Das Unternehmen fühlt sich dem kulturellen Erbe von Litfaß verpflichtet und pflegt nach eigenem Bekunden auch dessen Grabstelle auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin. Nach Angaben des Fachverbandes Außenwerbung stehen 150 Jahre nach seinem Tod deutschlandweit rund 35.200 Litfaßsäulen aller Art.