Der stellvertretende Direktor des Instituts für Allgemeinmedizin an der Charité Berlin, Wolfram Herrmann, sieht im sogenannten Sozialen Rezept das Potenzial, die Versorgung von Patienten mit Problemen wie Einsamkeit und Finanzsorgen zu verbessern. „Auch soziale Belastungen können krank machen“, sagte Herrmann dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Für solche Situationen ist das Soziale Rezept entwickelt worden.“
Das Soziale Rezept soll laut Herrmann den Zugang zu Unterstützungsmöglichkeiten vor Ort erleichtern. Das Angebot richte sich vor allem an Menschen, die unter sozialen Problemen wie Einsamkeit, Beziehungsproblemen, Probleme auf der Arbeit oder finanziellen Sorgen leiden. Anstatt Medikamenten bekommen sie verschrieben, was ihnen hilft – das kann Sport sein, Kunst oder Kontakte zu Mitmenschen.
„Der Betroffene geht zu seinem Hausarzt und dieser verweist ihn weiter an einen sogenannten Link Worker“, erläuterte der frühere Professor für Medizin und Public Health an der FH Münster. „Dort kann der Patient seine Probleme schildern und der Link Worker sucht nach passenden, regionalen Angeboten.“
Bei Link Workern handele es sich um geschultes Fachpersonal, sagte Herrmann. Ihre Aufgabe sei es, die Patienten kennenzulernen, ihre Probleme zu analysieren und mögliche Aktivitäten, Gruppen oder soziale Dienstleistungen in der Nähe zu finden.
Der Ansatz des Sozialen Rezepts stammt aus England. Unter Leitung der Charité Berlin werden in den kommenden fünf Jahren 22 europäische Gesundheits- und Forschungseinrichtungen die Wirksamkeit des Sozialen Rezepts überprüfen – finanziell unterstützt von der Europäischen Kommission. Die europäische Studie nimmt dabei vor allem marginalisierte Gruppen wie ältere, alleinlebende Menschen, LGBTIQ-Personen und Geflüchtete in den Fokus.
„Wir schauen uns hier drei Gruppen an, bei denen es besonderen Bedarf gibt und bei denen das Risiko besteht, dass sie in der alltäglichen Versorgung untergehen, zum Beispiel aufgrund von Sprachbarrieren oder Hemmschwellen“, sagte Herrmann. „Das Soziale Rezept könnte ein Baustein sein zur Transformation der Gesundheitssysteme in Europa hin zu einer personenzentrierten, gemeindeorientierten Versorgung.“
Werde die Wirksamkeit des Sozialen Rezepts bewiesen, stelle sich die Frage der Finanzierung. „Langfristig könnten die Krankenkassen die Kosten übernehmen“, schlug Herrmann vor. „Auch wird sich die Frage stellen, wo die Link Worker angestellt werden können.“