Der Bonner Politikwissenschaftler Ulrich Schlie rechnet im Nahen Osten mit einer längeren militärischen Auseinandersetzung und einer Ausweitung der Fronten. Mit den angekündigten Gegenangriffen Israels auf die Hamas im palästinensischen Gaza-Streifen als Antwort auf deren Raketenangriffe und Überfälle auf Israel eine Woche zuvor gehe er davon aus, dass es nicht bei dieser militärischen Auseinandersetzung zwischen der Hamas und Israel an einer Front bleiben werde, sagte der Professor für Sicherheits- und Strategieforschung am Institut politische Wissenschaften Uni Bonn am Samstag dem WDR5-Morgenecho.
„Ich gehe davon aus, dass wir uns auf einen längeren Zeitraum auf eine Auseinandersetzung einstellen müssen, und das wird dann auch bei uns zu großen Diskussionen führen.“ Das weitere Vorgehen nicht nur der Hamas, sondern auch der Hisbollah sowie der Länder Libanon und Iran seien zentrale Fragen, sagte Schlie.
Aktuell handele es sich mit Blick auf die Lage im Gaza-Streifen und den angekündigten Offensiven Israels um eine äußerst schwierige Situation. In dem dicht besiedelten Gebiet von Gaza werde es zwangsläufig zu Opfern unter der Zivilbevölkerung kommen, prognostizierte Schlie. Zwar würden von Israel militärische Ziele angestrebt, aber die Hamas habe ein unterirdisches Tunnelsystem errichtet, das als erstes im Blick Israels sei. Zu rechnen sei mit einem Häuserkampf.
„Im Grunde muss man sich das wie eine Geiselbefreiungsoperation vorstellen, das ist vielleicht auch völkerrechtlich die eheste Umschreibung, denn das, was jetzt hier stattfindet, ist natürlich vom Völkerrecht her in dieser Weise nicht gedeckt“, betonte Schlie. Zudem sei es kaum möglich, innerhalb so kurzer Zeit eine Million Menschen zu evakuieren. „Ich hoffe sehr, dass sich der Generalsekretär der Vereinten Nationen durchsetzen kann“, sagte der Wissenschaftler mit Blick auf den Appell, Schutzzonen herzustellen.
Der Bonner Politikwissenschaftler betonte, dass sich Israel seit den Angriffen der Hamas vor einer Woche im Ausnahmezustand befinde. „Das ist eine existenzielle Bedrohung, Israel wehrt sich.“ Israel habe keine andere Wahl. Das Land sei in einem Moment der Schwäche getroffen worden, und es werde auch in Israel diskutiert, warum so eine Gefahr so lange übersehen werden konnte. Dies wird die israelische Gesellschaft einholen, sagte der Wissenschaftler. Aber im Moment herrsche eine mit vorherigen Situationen nicht vergleichbare Lage in Israel. Bei der Vorstellung, wie viele Deutsche an einem Tag durch einen solchen Terrorangriff getötet worden wären, werde klar, dass sich dann auch Deutschland im Ausnahmezustand befinden würde.